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Demokratie und Globalisierung

Demokratie, Globalisierung, Zukunft des Völkerrechts ...

Demokratie in Mehrebenensystemen

Demokratie in Europa

Das vorliegende Gemeinschaftswerk europäischer Rechts- und Politikwissenschaftler, herausgegeben von Hartmut Bauer, Peter M. Huber und Karl-Peter Sommermann, erschienen im Mohr Siebeck Verlag, stellt einen Beitrag zur deutschen und europäischen Demokratiedebatte dar. Die Autoren gehen verschiedenen Demokratiekonzepten und -traditionen in Europa nach und eröffnen sowohl Perspektiven für eine Fortentwicklung der Demokratie im Rahmen des deutschen Verfassungsrechts als auch für eine Stärkung der Demokratie im europäischen Mehrebenensystem.

Die Demokratiekonzepte und aktuellen Reformdiskussionen verschiedener europäischer Staaten werden sichtbar. Erörtert werden zudem die Perspektiven für die Entwicklung demokratischer Strukturen in der Europäischen Union und im Prozess der Globalisierung.

Heute finden sich kaum politische Systeme, die nicht den Anspruch erheben, demokratisch zu sein. Dafür gibt es, so Bauer, eine einfache Erklärung:

"Demokratie gilt vielen als "Inbegriff des guten Staates". Gleichwohl ist Demokratie ein schillernder, zumindest aber variantenreicher Begriff - sowohl historisch als auch aktuell. Denn historisch weist der Demokratiebegriff viele Facetten auf, ganz abgesehen davon, dass er über die Zeitläufe hinweg keineswegs durchgängig positiv besetzt war. Und aktuell machen etwa die Vereinten Nationen in ihrem "Bericht über die menschliche Entwicklung" darauf aufmerksam, dass bei einer Bewertung der politisch-institutionellen Ordnung von 173 untersuchten Staaten nur 33 Staaten demokratische Standards haben, die vergleichbar hoch wie diejenigen Deutschlands sind. Offenbar hat jede Demokratie ihre eigene Demokratie ..." (Bauer, Hartmut: Demokratie in Europa - Einführende Problemskizze, in: Hartmut Bauer, Peter M. Huber, Karl-Peter Sommermann (Hrsg.), Demokratie in Europa, Tübingen 2005, op. cit., S. 1)

Globalisierung und demokratisches Prinzip

Die Bedeutung der Globalisierung für das demokratische Prinzip erweist sich als unklar und strittig und das Spektrum einschlägiger Diagnosen reicht von höchster Gefährdung bis zu substanieller Stärkung. Die Frage nach dem Schicksal des demokratischen Prinzips in der Globalisierung findet unter Beachtung des gesellschafts- und demokratietheoretischen Hintergrundes überaus divergierende Antworten sowohl in deskriptiver als auch normativer Hinsicht. Die traditionellen Instrumente zum rechtlichen Umgang mit Problemen, welche - wie die Globalierung - den staatlichen Rahmen übersteigen, finden sich im Völkerrecht. Mithin liegt es nahe, die Fragestellung in einer völkerrechtlichen Perspektive zu untersuchen. Allerdings herrscht keineswegs Konsens dahingehend, dass das Völkerrecht für das kritische Verhältnis von Demokratie und Globalisierung angemessene Lösungen bereithält. (vgl. Bogdandy, Armin von: Demokratie, Globalisierung, Zukunft des Völkerrechts - eine Bestandsaufnahme, in: Hartmut Bauer, Peter M. Huber, Karl-Peter Sommermann (Hrsg.), Demokratie in Europa, Tübingen 2005, S. 226-227).

Vor diesem Hintergrund  versucht von Bogdandy in seinem Beitrag "Demokratie, Globalisierung, Zukunft des Völkerrechts - eine Bestandsaufnahme"  (vgl. ibid., S. 225-252) in einer Umschau eine Bestandsaufnahme einflussreicher Positionen nach vertypten Diagnosen und Vorschlägen. Dabei geht es weniger um deren Richtigkeit oder Unterstützungswürdigkeit. Der Fokus liegt auf ihrer Konzeption der Fortentwicklung des Völkerrechts. Es geht nicht um eine Bewertung nach ihrer Richtigkeit oder Unterstützungswürdigkeit. Stattdessen sollen diese Positionen unter Beachtung ihrer Konzeption der Fortentwicklung des Völkerrechts in eine Ordnung gebracht werden. Das zentrale Anliegen dieses Beitrages verdeutlich die Anforderung an zukünftige Forschungen in ihrer Bemühung um Transparenz und Ausformulierung argumentativer Prämissen. Auf diese Weise wäre, so von Bogdandy,  ein besseres Durchdringen möglicher Verständnisse des geltenden Rechts und Optionen seiner politischen wie rechtsimmanenten Fortentwicklung gewährleistet. (vgl. ibid., S. 225)

"Anders als im demokratischen Verfassungsstaat erscheint im rechtswissenschaftlichen Umgang mit dem demokratischen Prinzip auf transnationaler Ebene derzeit eine grundsätzliche Auseinandersetzung angezeigt, da ein gemeinsamer Weg der verschiedenen Verständnisse und Optionen kaum auszumachen ist. Im Gegenteil: einflussreiche Analysen wie Strategien des Umgangs mit dieser Herausforderung stehen tendenziell im Widerstreit ..." (op. cit., ibid., S. 226)

Diese Bestandsaufnahme erfolgt in drei Schritten:

  • I.  einer Skizze des Begriffs der Globalisierung wie desjenigen der Demokratie
  • II.  einer Diagnose und Präsentation bedeutsamer Konzeptionen der Einwirkung der Globalisierung auf die Wirklichkeit des demokratischen Prinzips in der staatlich organisierten Welt
  • III. einer Unterbreitung normpropositiver Konzeptionen zur Wahrung und Entwicklung des demokratischen Prinzips im Prozess der Globalisierung und dem Versuch ihrer Spiegelung in Konzeptionen zur Fortentwicklung des Völkerrechts.

I. Begriffliche Klärungen

- Globalisierung

Der Terminus Globalisierung - man vergleiche die verwandten Termini "Entgrenzung" oder "internationale Integration" - fasst eine Reihe höchst disparater Beobachtungen zusammen. Ihr regelmäßiger gemeinsamer Nenner ist die Feststellung einer profunden Transformation des überkommenen Nationalstaats. Sie berühren damit die Wirklichkeit des demokratischen Prinzips: der Nationalstaat erwies sich bislang als der regelmäßige Rahmen für die Verwirklichung des Demokratischen Prinzips.(vgl. ibid., S. 227)

"Das Fundament des überkommenen Verständnisses des Nationalstaats ist die Annahme einer weitgehenden Kongruenz zwischen einem ökonomisch, kulturell und historisch zur Nation integrierten Volk und seinem, es organisierenden, Staat. Der durch Grenzen, farbige Flächen und Karten, Symbole, Gebäude und Personen anschauliche Nationalstaat bildet - ähnlich einer Käseglocke - eine überwölbende Einheit, in der die maßgeblichen Lebensäußerungen und -vollzüge der Menschen ihren speifischen Ort und Sinn finden ..." (op. cit., ibid., S. 227)

Gemäß diesem überkommenen Verständnis erweist sich der Nationalstaat als die höchste Verwirklichungsform des in Solidarität verbundenen Volkes und als Quelle des Rechts. Er ist Voraussetzung und Rahmen der Volkswirtschaft. Mit Nationalsprache, Nationalliteratur und  einem nationalen Wirtschaftssystem kommt in ihm eine Nationalkultur zur wahren Entfaltung, deren Grenzen mit den Staatsgrenzen als kongruent zu erachten sind.

Der Primat des Politischen gegenüber allen anderen gesellschaftlichen Sphären stellt ein weiteres Moment dieses überkommenen Verständnisses des Nationalstaates dar. Die völker- und staatsrechtliche Grundlage dieses Verständnisses des Nationalstaates finden wir im traditionellen Souveränitätsbegriff. Der traditionelle völkerrechtliche Souveränitätsbegriff schützt den Staat gegen Fremdbestimmung von außen. Jede Form der Abschottung scheint erlaubt (vgl. dazu den "Lotus-Fall, Ständiger Internationaler Gerichtshof, Series A, No. 10 (1927), S.18)

"Der staatsrechtliche Souveränitätsbegriff bringt die überlegene Macht und damit den Primat des Staates gegenüber allen anderen gesellschaftlichen Bereichen zum Ausdruck. Der Begriff der Volkssouveränität begründet - soweit verwirklicht - sämtliche Aspekte der Souveränität als Realisierungsform des wichtigsten Legitimitätsmoments, nämlich des demokratischen Prinzips. Auf dieser Grundlage formte sich die Symbiose von Nationalstaat und Demokratie, welche bis heute die meisten Demokratietheorien tief prägt ..." (op. cit., ibid., S. 228)

Verdichtung der Interaktionen

Die Beobachtung einer massiven Verdichtung der Interaktionen zwischen gleichen Bereichen unterschiedlicher nationalstaatlicher Räume - insbesondere seit Anfang der neunziger Jahre -  zeigt hingegen, dass der Terminus Globalisierung  zahlreiche Entwicklungen zusammenfasst, die diese Konzeption eher fragwürdig erscheinen lassen. So sind nach einer verbreiteten Ansicht - so allerdings bereits von Karl Marx und Friedrich Engels festgestellt - Verdichtung und Entgrenzung insbesondere auf die Entwicklung in den Kommunikations- und Transporttechnologien ( vgl. Telegraph, Telefon, Telefax, Mobiltelefon und elektronische Post) zurückzuführen. Es handelt sich um neue Formen des Informations- und Wissenserwerbs sowie Medien raschen physischen Transports. Die verstärkten Verknüpfungen und partiellen Verschmelzungen münden in eine "Entnationalstaatlichung". Globalisierung steht letztlich für den Ausbau internationaler Organisationen und internationalen Rechts. Ihre zunehmende Autonomie gegenüber politischen Präferenzen des einzelnen Staates wird teilweise als Qualitätsmerkmal eines globalisierungsadäquaten Völkerrechts bewertet. (vgl. ibid., S. 228-229)

" Das nationale Recht, vormals Ausdruck des Volksgeistes oder des nationalen politischen Prozesses, transportiert entsprechend zunehmend international vorgegebene Regelungsgehalte, die globalisierte Regelungsfragen adressieren. Insgesamt sieht sich die nationale Politik durch mannigfaltige rechtliche und faktische Vorgaben eingebunden. Soweit diese nationale Politik eine demokratische Politik ist, findet an diesem Punkt die kritische Begegnung von Globalisierung und demokratischem Prinzip statt ..." (op. cit., ibid., S. 230)

Die Globalisierung führt gegenwärtig  - ungeachtet aller Verdichtung und Entgrenzung - keineswegs zu einer grenzenlosen Welt und die Relevanz noch verbleibender Staatsgrenzen bildet den Gegenstand äußerst divergierender Einschätzungen. (vgl. ibid., S. 230)

- Demokratie

Obgleich ein nahezu universaler und zunehmend rechtlich unterfangener Konsens hinsichtlich der notwendigen Anforderungen an einen demokratisch zu definierenden Staat  besteht, hat dies im Ergebnis jedoch nicht zu einem Konsens in der Theorie der Prämissen geführt. Nach wie vor unterscheidet sich das Demokratieverständnis, dessen Ausgangspunkt bei einem zur Nation integrierten Volk liegt (holistisches Demokratieverständnis), prinzipiell von jenem, das den betroffenen Einzelnen als Ausgangspunkt wahrnimmt (menschenrechtlicher Demokratiebegriff).  Auch die Auffassungen hinsichtlich des Prinzips per se divergieren äußerst stark. Dies führt jedoch keineswegs zu einer Gefährdung des soliden Konsenses, was in staatlicher Verfasstheit die maßgeblichen Institutionen und Verfahren zur Verwirklichung des demokratischen Prinzips sind.(vgl. ibid., S. 231-232)

"Ebenso wenig ist entschieden, ob es bei der Demokratie letztlich um Selbstbestimmung (sei es eines Volkes, sei es eines betroffenen Einzelnen) geht (emphatische Demokratiekonzeption), oder ob es auf wirksame Kontrollen des Herrschaftspersonals ankommt (skeptisches Demokratieverständnis) ..." (op. cit., ibid., S. 231)

Das demokratische Prinzip verwirklich sich im nationalstaatlichen Rahmen, eingebettet in einen gesicherten Bestand an Institutionen und Verfahren, deren Essentialia zunehmend auch als Gegenstand völkerrechtlicher Verpflichtungen anerkannt werden. Der Konsens berührt allerdings nicht die Frage, wie die Globalisierung auf die Wirklichkeit des demokratischen Prinzips einwirkt und wie es im Prozess der Globalisierung gewahrt werden kann. Als ergebnisrelevant erweisen sich in diesem Zusammenhang die unterschiedlichen Demokratiekonzeptionen, dies um so mehr als gegenwärtig kaum institutionelle Arrangements zu erkennen sind, die von allen Konzeptionen getragen werden könnten.(vgl. ibid., S. 231-232)

"Die demokratietheoretische Auseinandersetzung mag auf der transnationalen Ebene nunmehr ihr eigentliches Feld der Praxisrelevanz finden ..." (op. cit., ibid., S. 232)

II. Auswirkungen der Globalisierung auf die demokratischen Staaten

Die Diskussion über das demokratische Prinzip in der Globalisierung  hat möglicherweise zu "originellen demokratischen Arrangements" geführt. Dennoch treffen gegenwärtig sehr unterschiedliche Konzeptionen hart aufeinander, so dass diese in der theoretischen Diskussion oftmals als Dichotomien abgebildet werden, so etwa in der gängigen Klassifizierung nach formalen versus substantiellen, etatistischen (holistischen) versus menschenrechtlichen, schwachen versus starken, liberalen versus republikanischen, elitistischen versus partizipatorischen, output- versus inputorientierten Konzeptionen. Mit Blick auf das Verhältnis von demokratischem Prinzip und Globalisierung erscheint nach von Bogdandy die Diskussionslage aufgrund der komplexen Situation demhingegen in keinem Dualismus angemessen abbildbar. Er bevorzugt mithin eine stärker induktive Vorgehensweise und widmet sich folgen drei zentralen Aspekten: (vgl. ibid., S. 232-239)

(1) Globalisierung als Bedrohung nationalstaatlicher Selbstbestimmung

" Die meisten wissenschaftlichen Behandlungen des Verhältnisses von Globalisierung und demokratischem Prinzip sind diagnostisch und nicht propositiv ausgerichtet. Zumeist gelangen sie zu der Diagnose einer Gefährdung der Wirklichkeit des demokratischen Prinzips durch die Globalisierung, eine Gefährdung, die jedoch in der Regel untergründig wirkt und nicht - wie etwa eine autoritäre Regierung - in die Verfahren demokratischer Willensbildung direkt eingreift. Im Näheren erscheinen drei Positionen von besonderer Wichtigkeit ..." (op. cit., ibid., S. 233)

  • (a) Globalisierung als Amerikanisierung
  • (b) Globalisierung als kapitalistische Strategie
  • (c) Globalisierung als Schwächung nationalstaatlicher Institutionen

(2) Globalisierung als Instrument der Demokratisierung

  • (a) Globalisierung als Siegeszug des liberal-demokratischen Modells
  • (b) Die völkerrechtliche Konstitutionalisierungstheorie

"Es herrscht keineswegs Konsens, dass die Globalisierung die Wirklichkeit des demokratischen Prinzips schwächt. Nach einem gegenteiligen Verständnis gibt es eine enge Wechselwirkung von Globalisierung und Demokratisierung. Dabei lassen sich ein eher marktwirtschaftlich-ökonomisches und ein eher völkerrechtliches Lager unterscheiden ..." (op. cit., ibid., S. 237)

(3) Globalisierung als Popanz

Zu (2) Globalisierung als Instrument der Demokratisierung

Beispiel: (2)(a) Globalisierung als Siegeszug des liberal-demokratischen Modells

Das marktwirtschaftlich-ökonomische Lager - so etwa vertreten durch die Zeitschrift "The Economist" oder die Minderheit der Enquetekommission des Deutschen Bundestages (vgl. Enquete-Kommission "Globalisierung der Weltwirtschaft - Herausforderungen und Antworten" (Anm.8), Minderheitsvotum, S. 461 ff.) - verweist auf die demokratiefördernden Wirkungen weitgehenden Freihandels und umfassender Kommunikativer Freiheiten. (vgl. ibid., S. 237)

Diese Konzeption behandelt weniger die Frage politischer Selbstbestimmung. Demokratie erscheint - der liberalen Tradition der Demokratietheorie folgend - als ein Gefüge funktionstüchtiger Institutionen, welche die Kontrolle staatlicher Herrschaft zwecks Responsivität bezwecken. (vgl. ibid., S. 237)

Beispiel (2)(b) Die völkerrechtliche Konstitutionalisierungsthese

Den rechtlichen Fokus stärker hervorhebend, gelangen die Vertreter der völkerrechtlichen Konstitutionalisierungstheorie - in Deutschland oftmals unter dem Stichwort "Konstitutionalisierung des Völkerrechts" behandelt -   mit der  These einer zunehmenden Einbindung der staatlichen Regierungssysteme durch völkerrechtliche Vorgaben zu ähnlichen Ergebnissen. Unter der Annahme einer Verdichtung des Völkerrechts - im Kontext der Globalisierung beobachtet und von ihr funktional zur adäquaten Sicherung von globalen Gemeinwohlbelangen erfordert -  sowie seiner Emanzipation vom Willen des einzelnen Staates, gilt dieses als zunehmend wirksames Instrument gegen diktatorische Herrschaft. Darüber hinaus übe es einen erheblichen Druck zur Etablierung und Wahrung demokratischer Herrschaftsformen aus. Die zunehmende Vernetzung der Welt erweist sich nach dieser These prinzipiell als eine Chance, dass das Völkerrecht nicht nur seine demokratischen Vorgaben für die Staaten zu verdichten sondern  auch mit größerer Wirksamkeit durchzusetzen vermag. (vgl. ibid., S. 238)

Zu (3) Globalisierung als Popanz

Nach einer dritten Position zur Auswirkung der Globalisierung auf das demokratische Prinzip - als "Zweifler" benannt - wird bestritten, dass die Verknüpfungen der unterschiedlichen Lebensbereiche zwschen den Staaten ein Ausmaß erreicht haben, welches die Wirksamkeit des demokratischen Prinzips in den westlichen Nationalstaaten tatsächlich konterkarieren wird. (vgl. ibid., S. 238-239)

III. Strategien zur Wahrung des demokratischen Prinzips

Die bisherige Forschung zum Verhältnis von demokratischem Prinzip und Globalisierung haben allein die Diagnose des Verhältnisses zum Schwerpunkt. Dennoch gibt es zahlreiche Überlegungen, wie das demokratische Prinzip in der Globalisierung gewahrt werden kann. Von Bogdandy stellt einige dieser Überlegungen vor.  Unter dem Aspekt der Akzeptanzwürdigkeit völkerrechtlicher Regeln bilden diese einen Teilaspekt der Diskussion über die Legitimität des Völkerrechts. Da nach verbreiteter Ansicht auch andere Momente legitimitätsstiftende Wirkungen aufweisen können, so etwa die Anerkennung und Durchsetzung von Menschenrechten sowie der effektive Umgang mit sozialen Problemen (Frieden, Umweltschutz, Wohlstand, sog. Output-Legitimität), reicht letztere über die Erörterung des demokratischen Prinzips hinaus. (vgl. ibid., S. 329)

"Bisweilen findet sich der Versuch, entsprechende weitere Momente (Schutz fundamentaler Interessen, regulatorische Leistungen) als Momente des demokratischen Prinzips im Rahmen einer komplexen Demokratietheorie zu präsentieren. Derartige Konzeptionen erscheinen jedoch, wie Peter M. Huber trefflich formulierte, als "Trick", ein "Demokratiedefizit wegzudefinieren ..." (op. cit., ibid., S. 239-240)

Die von Bogdandy präsentierten Überlegungen zur Wahrung des demokratischen Prinzips in der Globalisierung

  • (1) Staatliche Souveränität als materielle Leitidee
  • (2) Vom Völkerrecht zum kosmopolitischen Recht 
  • (3) Ausbau des Kooperationsvölkerrechts 
  • (4) Demokratie nach dem Ende des Primats des Politischen

haben bislang noch nicht den Verdichtungsgrad durchgeformter Modelle erreicht, sondern zeugen von einer vorgelagerten Phase der Erprobung von Überzeugungen und Ideen an einem neuen noch nicht vollständig erfassten Gegenstand.

In der europäischen Völkerrechtswissenschaft ist das demokratische Prinzip in Anwendung auf den eigenen Gegenstand - jenseits der Frage der Parlamentarisierung der Auswärtigen Gewalt - bislang noch kein Forschungsschwerpunkt. Als Anforderung an einen Staat wird es allerdings kaum auf eine eigene Ebene projiziert. Demnach behandelt die derzeitige Diskussion weniger unmittelbar realisierungsfähige institutionelle Arrangements, sondern primär die Bestimmung von Fluchtpunkten für deren Entwicklung. Von Bogdandy  unterbreitet  im Folgenden eine Klassifizierung, basierend auf der Frage, wie die jeweilige Überlegung das Völkerecht sieht und welche Entwicklung sie ihm anempfiehlt. (vgl. ibid., S. 240-241)

(1) Staatliche Souveränität als materielle Leitidee

Eine erste Konzeption zum Umgang mit dem demokratischen Prinzip im Prozess der Globalisierung folgt der Überzeugung, dass eine funktionstüchige Realisierung des demokratischen Prinzips allein im Nationalstaat möglich sei. Diese Überlegung basiert in der Regel auf einem Demokratieverständnis, das auf Selbstbestimmung - sei es holistischer oder menschenrechtlicher Provenienz - abzielt. konsequent begegnet man hier einem Widerstand gegen die Transnationalisierung gesellschaftlicher Bereiche und eine Autonomisierung der internationalen politischen Willens- und Rechtsbildung.(vgl. ibid., S. 241)

  • (a) Koordinationsvölkerrecht als Leitbild
  • (b) Koordinationsvölkerrecht plus informale Regierungskooperation
  • (c) Unilateralismus

"Das wesentliche Anliegen gilt der Wahrung und Wiedergewinnung des Handlungsspielraums nationaler demokratischer Institutionen, also die Wahrung materiell verstandener staatlicher Souveränität ..." (op. cit., ibid., S. 241)

Beispiel: (a) Koordinationsvölkerrecht als Leitbild

Diese Konzeption kann zur Forderung führen, Entwicklungen und Verwicklungen, die eine demokratiegefährdende Globalisierung begünstigen, aufzuhalten oder gar zurückzudrängen und so den demokratischen Nationalstaat als Institution politischer Selbstbestimmung zu wahren. Mithin ist auch das Völkerrecht in seiner Entwicklung aufzuhalten oder gar zurückzudrängen, soweit es demokratieschädigende Verflechtungen unterhält oder legitimationsintensive Bereiche der Politik berührt. Folgt man den Kategorien des Völkerrechts, so handelt sich um eine Position, nach der das Koordinationsvölkerrecht als eine adäquate Gestalt des Völkerrechts erscheint. (vgl. ibid., S. 242)

"Soll Staatlichkeit (und damit Demokratie, A.v.B.) erhalten bleiben, erscheint ein Gegensteuern im Globalisierungsprozess notwendig, und zwar in Form eines Kampfes um die Re-Etablierung des Primats der Politik in beherrschbaren Räumen ..." (op.cit., ibid., S. 241)

Der Souveräitätsbegriff im Sinne staatlicher Unabhängigkeit bildet hiernach - so von Bogdandy- ein leitendes materielles Paradigma und vielleicht sogar ein Prinzip im Sinne eines Optimierungsgebots bei der Entwicklung und Ausgestaltung des Völkerrechts.

"Souveräne Gleichheit und nicht Demokratisierung lautet die Formel für das internationale System ..." (op. cit., ibid., S. 242)

Beispiel: (c) Unilateralismus

Als Unilateralismus  wird eine dritte Option unter diesem Primat nationaler Souveränität bezeichnet, welche sogar erlaubt, die Gewinne der Globalisierung mitzunehmen. Dabei ist zu beachten, dass  sich eine demokratische Rechtfertigung von unilateraler Politik als leicht konstruierbar erweist.  Nach verbreitetem Verständnis bezieht sich das Demokratieprinzip einer Verfassung allein auf das Verständnis der unter dieser Verfassung Herrschenden zu dem Staatsvolk. Nach dieser Auffassung liegen etwaige Auswirkungen der Herrschaft auf Fremde oder andere Völker außerhalb des Gesichtskreises dieses Prinzips. (vgl. ibid., S. 243)

"Wenn nun Globalisierung als erwünscht oder aber unverrückbar gilt, dann liegt unter diesem Verständnis der Schluss nahe, die Globalisierung nach Möglichkeit entsprechend den Vorstellungen zu gestalten, die im internen demokratischen Prozess gefunden wurden.  Deren Durchsetzung gegen die Interessen anderer Staaten und Fremden kann danach als Weg der Verwirklichung des für die Herrschenden relevanten demokratischen Prinzipis, nämlich desjenigen der Verfassung, welche ihre Herrschaft begründet, gedeutet werden ..." (op. cit., ibid., S. 243)

Nach diesem Konzept gewinnt etwa die Durchsetzung US-amerikanischer Sicherheitsvorstellungen (vgl. The National Security of the United States of America) gegen Afghanistan oder den Irak eine demokratische Dimension:(vgl. ibid., S. 243)

"In the war against global terrorism, we will never forget that we are ultimately fighting for our democratic values and way of life ..." (op. cit., ibid., S. 243, Anm. 61)

(The National Security of the United States of  Amerika, III. Strengthen Alliances to Defeat Global Terrorism and Work of Prevent Attacks Against Us and Our Friends", The White House, Washington, September 17, 2002)

Vertreter der demokratietheoretischen Position, die allein auf das eigene Volk oder die eigenen Staatsbürger abstellt, müssen ganz sicher nicht zwangsläufig den Unilateralismus verfechten, so dass mittels Abwägung mit anderen Prinzipien - z.B. dem Prinzip des offenen Staates - folgerichtig auch andere Lösungen in Frage kommen. Dennoch ist in diesem Zusammenhang ganz sicher von Bedeutung, zu erkennen, dass - ungeachtet der Abwägung im Einzelnen - die Offenheit des Staates unter diesem Demokratieverständnis stets in eine Beschränkung des demokratischen Prinzips mündet. (vgl. ibid., S. 244)

(2) Vom Völkerrecht zum kosmopolitischen Recht

Die Vertreter eines kosmopolitischen Rechts als Vollendung des normativen Projekts der Moderne formulieren den stärksten Kontrast zur vorgenannten Konzeption. Dieses Recht wird als Grundlage und Ausdruck einer demokratischen weltumspannenden Föderation oder kosmopolitischen Demokratie angesehen. Somit weist die Entwicklungslogik der Moderne über den Nationalstaat als bloßer Zwischenstufe hinaus. Dieses Verständnis folgt einer langen Tradition. Im Völkerrecht des 20. Jahrhunderts finden sich bedeutsame Zeugnisse.

"Seine wesentliche Überzeugung lautet, dass allein eine demokratisch verfasste Weltpolitik dasjenige Recht setzen kann, welches der Globalisierung eine der Menschheit adäquate Gestalt gibt. Die politikgestaltende Ebene muss selbst demokratisch operieren, um dem demokratischen Prinzip zu genügen. Grundlage ist zumeist ein menschenrechtliches Verständnis der Demokratie, dem es zudem tendenziell um Selbstbestimmung geht: Nur ein emphatisches Demokratieverständnis findet in der Regel die Kraft, weithin als utopisch erachtete Zielzustände politiktheoretisch oder gar ethisch einzufordern ..." (op. cit., ibid., S. 244-245)

Eine rechtliche Begründung der Forderung einer demokratischen Weltföderation lässt sich aus dem Demokratieprinzip der staatlichen Verfassung herleiten. Liest man das Demokratieprinzip als Gebot prinzipieller Minimierung der Fremdbestimmung, so existiert im Zeitalter der Globalisierung ein strukturelles Demokratiedefizit. Externalitäten staatlicher Maßnahmen auf  Menschen in anderen Staaten erweisen sich als Regelfall. Mangels Bürgerstatus können diese Menschen ihre Präferenzen und Interessen jedoch kaum in den demokratischen Prozess des regelnden Staates einbringen.(vgl. ibid., S. 245)

"Vor diesem Hintergrund bietet die Öffnung gegenüber globalen demokratischen Institutionen einen Königsweg, um einen demokratischen Defizit des staatlichen Willensbildungsprozesses zu überwinden. Das staatliche Demokratieprinzip wirkt in dieser Lesart in einem fast Hegel'schen Sinne auf seine - zumindest partielle - Aufhebung hin ..." (op. cit., ibid., S. 245)

(3) Ausbau des Kooperationsvölkerrechts

In einer dritten Konzeption haben Auffassungen Eingang gefunden, welche den kooperationsoffenen demokratischen Nationalstaat und entsprechend das Kooperationsvölkerrecht als Fokus der Überlegungen wählen. Die Kernüberzeugung lautet: Der demokratisch verfasste Nationalstaat bildet den wesentlichen Rahmen zur Verwirklichung des demokratischen Prinzips und ist zugleich  Angelpunkt des nationalen Systems. Er ist durchaus befähigt, die Herausforderung der Globalisierung im Lichte seiner Prinzipien in Kooperation mit anderen Staaten unter Zuhilfenahme internationaler Organisationen zu meistern. Nach dieser Auffassung ist eine Fragmentierung des Nationalstaates im Zuge der Globalisierung durchaus zu verzeichnen. Gemäß der Kernüberzeugung dieser Konzeption erschüttert diese Fragmentierung keineswegs die beiden Prämissen der Herrschaft des demokratischen Prinzips im staatsrechtlichen Sinn: (vgl. ibid., S. 246)

- die hinreichende Tragfähigkeit der durch nationale Wahlen vermittelten Legitimität

und

- die grundsätzliche Durchsetzungsmöglichkeit des hoheitlichen Willens nach innen.

Unter dem Grundgesetz werden das Prinzip des offenen Staates und die Einbindung der Bundesrepublik in internationale Rechtsregime kooperationsrechtlicher Natur als verfassungsrechtliches Prinzip und Staatszielbestimmung formuliert. Ihre Begründung kann allerdings auch demokratietheoretisch und rechtsdogmatisch aus den Staatsverfassungen erfolgen. (vgl. ibid., S. 246-247).

" Eine entsprechende Herleitung erfordert ein menschenrechtliches Verständnis des staatsrechtlichen Demokratieprinzips, das nicht nur auf das Staatsvolk und die Staatsbürger schaut, sondern die Berücksichtigung ausländischer betroffener Interessen als demokratisch geboten einfordert ..." (op. cit., ibid., S. 247)

Gemäß diesem Verständnis erlangt das Völkerrecht eine eigenen demokratische Dignität. Insoweit das Völkerrecht den regelmäßigen Weg darstellt, um eine Mitbestimmung Betroffener in den Rechtsetzungsverfahren zu eröffnen, ist diese Dignität staatlichem Recht nicht zugänglich. Diese Öffnung gegenüber internationalem Recht und internationaler Politikgestaltung wird nicht zwingend als Nachteil für das demokratische Prinzip verstanden, sondern eröffnet ein eigenes demokratisches Potenzial, das der geschlossene oder hegemoniale Staat nicht zu erreichen vermag. Ein Mehr an transnationaler Beteiligung überwindet den Verlust an Selbstbestimmung. Diesem Lager gehören die meisten Völkerrechtler an. Man unterscheidet zwei Positionen, abhängig vom Legitimationsmodell

  • (a) Das unitarische Legitimationsmodell
  • (b) Das pluralistische Legitimationsmodell: Zivilgesellschaft als Zukunftsformel,

 in dem die Kooperation erfolgen soll. (vgl. ibid., S. 247-248)

(4) Demokratie nach dem Ende des Primats des Politischen

Alle bisherigen Überlegungen basieren auf der Prämisse eines Primats des Politischen gegenüber anderen gesellschaftlichen Bereichen. Nach der Diagnose zahlreicher Wissenschaftler führt gerade die Globalisierung zu einem Verlust dieses Primats. Der Primat des Nationalstaats gegenüber den anderen gesellschaftlichen Bereichen sei substantiell erschüttert, was zu einem Verlust übergreifender Organisationsleistungen führe. Jede Konzeption, welche zur Verwirklichung demokratischer Prinzipien hoheitliche Institutionen beachte und von einem Primat des Politischen ausgehe, verfehle danach die sich ausbildende Wirklichkeit der Globalisierung. Ein Teil der Autoren spricht gar vom Ende der Demokratie. (vgl. ibid., S. 250)

"Sollte die Diagnose überzeugen, so wäre eine fundamentale Neuorientierung verfassungsrechtlicher Arbeit geboten, etwa ein neues Verständnis der Grundrechte als Instumente des Schutzes der individuellen Sphäre gegenüber Übergriffen auch aus dem gesellschaftlichen Bereich. Der verbreitete Anspruch des Verfassungsrechts, normative Grundüberzeugungen gesellschaftsweit wirksam werden zu lassen, müsste dann auf neuen Wegen verfolgt werden ..." (op. cit., ibid., S. 250-251)

IV. Perspektiven der Forschung

Die Frage nach den Auswirkungen der Globalisierung auf die bestehenden Realisierungsformen des demokratischen Prinzips eröffnet ebenso unterschiedliche Antworten wie die nach adäquaten Strategien, um die tatsächliche Bedeutsamkeit dieses Prinzip in der Globalisierung realiter zu wahren.(vgl. ibid., S. 252)

"Diese Vielstimmigkeit ist angesichts der Diffusität des Phänomens und seiner Entwicklungsdynamik zu begrüßen: Sie schützt gegen problematische Blickverengungen und vorschnelle Festlegungen" ... (op. cit., ibid., S. 252)

Dieser Themenschwerpunkt beleuchtet nur eine Facette des Gemeinschaftswerkes europäischer Rechts- und Politikwissenschaftler und stellt nur einen der Beiträge zur deutschen und europäischen Demokratiedebatte dar. Die Autoren befassen sich mit verschiedenen Demokratiekonzepten und -traditionen in Europa  und eröffnen sowohl Perspektiven für eine Fortentwicklung der Demokratie im Rahmen des deutschen Verfassungsrechts als auch für eine Stärkung der Demokratie im europäischen Mehrebenensystem. Ausführlich werden mit Blick auf neue Organisationsformen staatlichen Handelns auch die durch das deutsche Verfassungsrecht eröffneten Entwicklungsmöglichkeiten der Demokratie in Deutschland ausgelotet.

 

Fortsetzung: Kulturphilosophie ...

 

© Ulrike-Christiane Lintz, 04.04.2007