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Dom Francisco de Almeida - Erster Vizekönig des Estado da Índia (Reg. 1505-1509

Glücklicherweise besitzen wir ein bemerkenswertes Do­kument, das Licht auf König Manuels Prioritäten zu dieser Zeit wirft: seine Anweisungen (regimento) an Dom Francisco de Al­meida, der 1505 als Oberbefehlshaber (capitão-mor) und schließ­lich als Vizekönig nach Indien gesandt wurde (Abb. 7).
Abb. 7: Dom Francisco de Almeida, Erster Vizekönig des Estado da Ìndia (Reg. 1505-1509), Kat.Nr. VII.I.1; ibid., S. 31.
Abb. 7: Dom Francisco de Almeida, Erster Vizekönig des Estado da Ìndia (Reg. 1505-1509), Kat.Nr. VII.I.1; ibid., S. 31.

Das Dokument befasst sich zunächst mit Detailfragen wie Reiseproviant, Feuergefahr an Bord und Ähnlichem. Was dann in Bezug auf den Indischen Ozean folgt, ist jedoch von erheb­licher Bedeutung: Der Leser erfährt von dem Plan, eine Festung in Sofala zu errichten, findet ausführliche Anweisungen für den Umgang mit der ebenfalls ostafrikanischen Stadt Kilwa, weitere Befehle hinsichtlich einer Festung auf der indischen Insel Ange­diva und Fragen im Zusammenhang mit Pfefferlieferungen und -transport in Kochi, zum Roten Meer sowie einer ganzen Reihe anderer Punkte. Doch wo in all dem tritt jene Schlüsselrolle Vijayanagaras hervor, von der Quirini - wenn ihm denn zu trauen ist - spricht? Bei Dom Manuel ist das Thema in einen kurzen und recht lakonischen Absatz verbannt, in dem es heißt: „Ihr nehmt unseren Brief für den König von Narcingua mit, den Ihr zusammen mit anderen Botschaften im Einklang mit dem, was Ihr über ihn und sein Land sowie die Dinge, die es dort gibt, in Erfahrung bringt, von einer für diesen Zweck benannten Person überbringen lasst, wenn es Euch notwendig erscheint. Wenn es Euch für unsere Zwecke nicht so wichtig erscheint, braucht Ihr niemanden zu schicken. Und wenn Ihr diese be­nannte Person oder eine andere, die Ihr für diesen Zweck be­stimmt, sendet, dann kleidet ihn in ein Euch angemessen er­scheinendes Gewand aus Seide und Leinen, das auch mit dieser Flotte geschickt wird. Und in Bezug auf die Person, die Ihr schickt, teilt ihr außer dem, was hier geschrieben steht, mit, was Euch am besten und für unsere Zwecke am geeignetsten erscheint, denn wir überlassen es Euch, hier nach eigenem Gut­dünken zu handeln.“(14)

Dies klingt kaum nach der obersten Priorität in König Ma­nuels damaliger Politik, obwohl die Angelegenheit eine ziemlich komplizierte Wende nahm, als Dom Francisco de Almeida schließlich in Indien eintraf. Wir wissen, dass der neue Vize­könig gleich nach seiner Ankunft in Kannanor mit dem Bau einer Festung (uma forte e formosa fortaleza) begann, für die ein gewisser Lourenço de Brito zum Befehlshaber ernannt wurde. Hier aber empfing er eine unerwartete Gesandtschaft von Vira Narasimha Raya, der gerade den Thron von Vijayanagara bestie­gen hatte, nachdem in jenem Königreich aufgrund von Kämp­fen zwischen einer Reihe mächtiger Kriegsherren eine Zeit be­trächtlicher Verwirrung geherrscht hatte.(15) Der Gesandte kam mit einem Gefolge von hundert oder mehr Reitern und brachte kostbare Geschenke von Stoffen und Edelsteinen. Die vorher­gehende halboffizielle Mission des Franziskanerpriesters Frei Luís de Salvador in die Stadt Vijayanagara zeitigte offensichtlich eine positive Wirkung.(16)

Am überraschendsten war dabei, dass der Herrscher von Vija­yanagara ein weitreichendes Bündnis zwischen seinem König­reich und Portugal vorschlug, das nicht nur eine beträchtliche portugiesische Präsenz in einem Hafen wie Mangalor beinhal­tete, sondern auch eine Heiratsverbindung zwischen seiner Familie und der Avis-Dynastie vorsah.(17) Dies sorgte für reichlich Verblüffung unter den Portugiesen, denn sie konnten sich zwar (nach entsprechenden Konversionsriten) eine Prinzessin aus Vijayanagara in Portugal vorstellen, aber keinesfalls eine portu­giesische Prinzessin an einem „heidnischen“ Hof wie dem voll Vijayanagara. Wie dem auch sei, Almeida zeigte sich an diesem Angebot, wie überhaupt an der Anknüpfung weiterer Bezie­hungen mit Vijayanagara, nicht sonderlich interessiert. Als er sich 1508 schließlich unter ernsthaftem Druck aus Lissabon genötigt sah, einen gewissen Pero Fernandes Tinoco als Gesand­ten dorthin zu schicken, nutzte er die Gelegenheit auch dazu, seine absolute Missbilligung dieses Aspekts der königlichen Politik zum Ausdruck zu bringen.

Quirinis Vorstellung, dass der Schlüssel zum Pfefferhandel in einem Bündnis mit Vijayanagara läge, scheint sich also durch die uns vorliegenden Dokumente nicht zu bestätigen. Was waren dann die anderen Optionen, die die portugiesische Krone und ihre Vertreter in Indien tatsächlich in Betracht zogen? Beim Lesen der Anweisungen an Dom Francisco de Almeida wird deutlich, dass der wichtigste Punkt der offiziellen portugie­sischen Strategie zu jener Zeit der Bau einer Festung war, die eine Blockade des Roten Meeres ermöglichen sollte. So heißt es im regimento: „Und wie es uns erscheint, könnte nichts wichtiger sein für unsere Zwecke (nenhuma cousa poderya mais importar a nosso serviço, als eine Festung an der Einfahrt ins Rote Meer oder dort in der Nähe zu haben, entweder innerhalb oder außerhalb, je nachdem, was als Standort am besten er­scheint, denn dies würde sicherstellen, dass keine Gewürze mehr in das Land des Sultans (von Ägypten) gelangen, und alle, die in Indien sind, werden die Illusion (fantesya) verlieren, mit irgendjemand anderem als uns Handel treiben zu können; und da die Festung sehr nah am Land des Erzpriesters Johannes ist, erscheint es uns, dass dies sehr große Gewinne einbringen könnte, erstens für die dortigen Christen, und dann auch für unseren Staatsschatz." (18)

Die darauf folgenden Anweisungen lauten, dass Dom Fran­cisco, nachdem er die Angelegenheiten in Kochi und auf Ange­diva erledigt habe, mit einer Flotte weitersegeln solle, um eine Stelle „dicht an der Meereseinfahrt, sei es innerhalb oder außer­halb, oder einen Ort, der Euch geeignet erscheint, zu suchen, der einen Blick über die Einfahrt der Seewege und den Schiffs­verkehr auf ihnen gewährt, einen Standort, der Euch für eine Festung geeignet erscheint, die für diesen Ort stark genug ist (...) und dabei im Sinn zu behalten, dass sie in der Nähe des Sultans liegen wird, von dessen Ländern aus viele Männer sie angreifen könnten; und die Menschen in dieser Gegend setzen ihre Vorhaben konsequenter um, als jene in Indien; und Ihr werdet weit von Eurem Nachschub (socorro vosso) entfernt sein.„ Die portugiesische Krone war so zuversichtlich, dass dies in kurzer Zeit erledigt werden könnte, dass in den Anweisungen sogar schon der Befehlshaber und andere Beamte für diesen Ort (ein Faktor und zwei Schreiber) namentlich erwähnt werden, wobei als Befehlshaber entweder Manuel Pessanha oder Pedro de Anhaia vorgesehen waren.

Abb. 8: Der nordwestliche Teil des Indischen Ozeans, aus einem Atlas von Fernão Vaz Dourado, um 1576, Kat.-Nr. V.I.27; ibid., S. 33.
Abb. 8: Der nordwestliche Teil des Indischen Ozeans, aus einem Atlas von Fernão Vaz Dourado, um 1576, Kat.-Nr. V.I.27; ibid., S. 33.

Dies erscheint nun als ein ganz anderes Aktionsfeld, doch dienten die Handlungen dort demselben Zweck wie jene in Indien. Die portugiesische Krone hatte 1505 verschiedene Mög­lichkeiten in Betracht gezogen, gegen die alte Route, auf der Pfeffer und Gewürze in den östlichen Mittelmeerraum gebracht wurden, vorzugehen. Die drei Hauptstrategien sahen Folgendes vor: erstens das Erzwingen eines starken Rückganges der Zahl jener Schiffe, die von Kanaras und Keralas Küsten ablegten; zweitens das Patrouillieren der Einfahrt des Roten Meeres mit portugiesischen Flotten; und drittens das Errichten einer Festung an der Einfahrt zum Roten Meer. Ein Problem, mit dem Afonso de Albuquerque in diesem Zusammenhang 1507 konfrontiert war, bestand darin, dass, um das Rote Meer effektiv zu überwa­chen, auch Hormuz kontrolliert werden musste. Wie man sieht, konzentrierten sich die Anweisungen an Dom Francisco de Almeida hauptsächlich auf diese dritte Strategie. Was aber ge­schah mit den beiden anderen?

Es wird heftig darüber debattiert, welche Auswirkungen die Ankunft der Portugiesen im Indischen Ozean auf die alte, über den Nahen Osten führende „Landroute“ hatte. Doch stimmt man seit nunmehr einem halben Jahrhundert darin überein, dass die Portugiesen dem venezianischen Gewürzhandel im 16. Jahr­hundert keinen Todesstoß versetzten. Die verschiedentlich von Frederic C. Lane, Vitorino Magalhães Godinho und Fernand Braudel vertretene und später vom dänischen Historiker Niels Steensgaard in komplizierter Weberscher Fachsprache als The­orie ausformulierte Ansicht, gegenüber der uns neuere Erkennt­nisse zur Vorsicht warnen, lautete wie folgt: (19) Das erste Vordrin­gen der Portugiesen in den Indischen Ozean habe die Pfeffer- und Gewürzlieferungen in den östlichen Mittelmeerraum völlig durcheinandergebracht, da die Lieferwege zwischen Kerala auf der einen und Alexandria und Beirut auf der anderen Seite dras­tisch unterbrochen wurden. Jedoch habe in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts die normale Versorgung wieder eingesetzt, und sowohl die Transporte durch das Rote Meer als auch jene durch den Persischen Golf hätten wieder jene Dimensionen angenommen, die sie ein Jahrhundert zuvor hatten. Dank der „konstitutionell bedingten Korruption“ (wie Steensgard es for­mulierte) der portugiesischen Beamten, die den Schmuggel voll Pfeffer und Gewürzen gerne zuließen, solange sie einen Teil davon abbekamen, habe Venedig wieder Luft schöpfen können. Diese Lieferungen seien offensichtlich teilweise aus Kerala und Kanara und teilweise aus Sumatra gekommen, wo das Sultanat von Aceh und die mit ihm verbündeten Guzerati-Kaufleute auch ein beachtliches Handelsnetzwerk aufgebaut hätten.

Dies ist eine einleuchtende, aber in mehrfacher Hinsicht fehlerhafte Geschichtsauffassung. Es wird seit langem vermutet, dass die hier vorausgesetzte Chronologie und auch die geogra­fische Umorientierung anhand der Dokumente nicht leicht zu belegen ist. F. C. Lane zum Beispiel scheint zu argumentieren, dass die Landroute erst in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhun­derts wieder auflebte, und behauptet, dass „die Gewürzlieferun­gen aus der Levante über die traditionellen Routen in den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts massiv behindert wurden, später (aber wieder) ihren Weg über die von den Portugiesen aufgebauten Hindernisse hinweg fanden.“(20)

Nachdem Lane die venezianischen Pfefferexporte aus Ale­xandria mit einem Wert in der Größenordnung von jährlich 1,3 Millionen (englischen) Pfund beziffert, schließt er aus por­tugiesischen und venezianischen Quellen, dass jährlich etwa 30 000 bis 40 000 Quintais (etwa 1550 bis 2070 Tonnen) Pfeffer und Gewürze über das Rote Meer transportiert wurden. Diese Waren seien über El Tur und Dschidda gekommen, wobei die wichtigsten Abfuhrhäfen der diese Waren transportierenden Schiffe Dabhol, Surat, Bhatkal und Aceh gewesen seien. Dies bringt Lane zu der Schlussfolgerung, dass „der Import von Gewürzen aus Alexandria nach Europa um 1560 genauso groß oder sogar größer war als im späten 15. Jahrhundert“. Und er fährt fort mit der Spekulation, dass selbst wenn „die Portugiesen einige Jahrzehnte nach 1500 den Handel auf dem Roten Meer ernsthaft behinderten, (...) die portugiesischen Beamten in Indien später so ineffektiv wurden oder so leicht zu bestechen waren, dass sie die Handelswege über das Rote Meer oder den Persischen Golf nicht länger mit unüberwindbaren Hindernis­sen versperrten“.

Dabei ist es freilich ziemlich schwierig festzustellen, wann genau diese Wiederbelebung nach Lanes Meinung begonnen haben soll. An einer Stelle bemerkt der Autor, dass „die Gewürze aus der Levante sich bereits 1540 auf die Preise in Antwerpen auswirkten“, aber in einer anderen Anmerkung stellt er fest, dass „Venedigs Importe aus Alexandria zwischen 1550 und1554, von einem niedrigen Stand ausgehend, wieder enorm zunahmen“. Darüber hinaus ist die seiner Theorie zugrundeliegende Annah­me der Bestechlichkeit der Portugiesen, der Steensgard später einen hohen Stellenwert einräumte, tatsächlich die Umschrei­bung eines Gemeinplatzes, der bereits von zeitgenössischen Beobachtern wie Lorenzo und Antonio Tiepolo erwähnt wurde. Ersterer hatte schon 1556 festgestellt, dass die Gewürze von den “portugiesischen Soldaten, die im Roten Meer über Indien herrschen, für den eigenen Profit gegen die Befehle ihres Königs“  absichtlich durchgelassen werden. In der Tat gingen die Vene­zianer in den frühen 1560er Jahren sogar so weit, zu behaupten, der Vizekönig des Estado da Índia, Dom Constantino de Bragan­ça, hätte sich in offener Revolte befunden und daher als Zeichen seiner Abgeneigtheit gegen den Hof nach dem Tod von Dom João III. entschieden, Gewürze zum Roten Meer zu senden.(21)

Die Venezianer des 16. Jahrhunderts waren sicherlich sehr geschickt darin, Zahlen zu sammeln und Theorien zu entwerfen. Wichtig aber ist, dass neuzeitliche Historiker zwar unter Um­ständen jene Ziffern verwenden können, den damit verbunde­nen Thesen aber nicht unbedingt Glauben schenken müssen. Die neue Orthodoxie die sich nach Lanes wichtigem revisionistischem Werk entwickelte, scheint die venezianischen Beob­achtungen allzu wörtlich genommen zu haben. Das ist am deutlichsten in Vitorino Magalhães Godinhos Arbeit zu erken­nen. Dieser Autor behauptet, in den 1560er Jahren seien in Kanara neue Quellen der Pfefferproduktion entstanden, mit denen die gesamte Nachfrage der Kaproute und des Landwegs gedeckt werden konnte. Solch eine Ansicht lässt aber jene zahl­reichen Belege außer Acht, wonach bereits im Jahr 1500 in Kanara eine beachtliche Pfefferernte produziert wurde. Schon Autoren wie Quirini im Jahr 1506 waren sehr wohl über die Pfefferexporte aus Bhaktal informiert.

Godinho scheint daneben auch den Standpunkt eines zwei­phasigen Zyklus zu vertreten: Auf eine anfänglich ziemlich massive portugiesische Auswirkung auf die Pfeffer- und Gewürz­lieferungen in die östliche Mittelmeerregion wäre demnach zu einem wieder einmal unbestimmten Moment in der Mitte des Jahrhunderts eine Lockerung gefolgt, die zu einem Neuauf­schwung Venedigs gegenüber Lissabon geführt hätte. Godinho, und nach ihm auch Braudel scheinen 1550 als den Zeitpunkt zu favorisieren, an dem die „traditionelle“ Route wiederbelebt wurde, womit sie einen der verschiedenen von Lane angenom­menen Zeitpunkte unterstützen. Godinho schreibt, dass „die Portugiesen von 1503 bis zur Mitte des Jahrhunderts den Gewürz­handel über das Rote Meer ernsthaft behinderten“ und dass „die portugiesische Blockade insbesondere in Bezug auf Pfeffer effek­tiv war“.(22)

Ein neueres Werk der Wirtschaftshistoriker Kevin O'Rourke und Jeffrey Williamson hat nun einem bedeutenden Teil der Vorstellungen von Lane, Godinho und Steensgaard über das Zusammenwirken von Kap- und Landroute im 16. Jahrhundert einen größeren Schlag versetzt.(23) Sie unterstützen eine Sichtweise, die dem von C. H. H. Wake angenommenen Modell sehr viel ähnlicher ist. Während jedoch Wakes Arbeit sich auf die Mengen von Pfeffer Lind Gewürzen konzentriert, die auf den beiden Routen nach Europa importiert wurden, legen O'Rourke und Williamson ihren Schwerpunkt auf Belege hinsichtlich der Pfeffer- und Gewürzpreise im Verlauf des 16. Jahrhunderts. Dabei kommen sie zu zwei wichtigen Schlussfolgerungen. Zum einen, dass „die Öffnung der Kaproute einen dramatischen Rückgang der Preise asiatischer Gewürze in Europa zur Folge hatte, die (...) über den Rest des Jahrhunderts so niedrig blieben“, wenn man auf der Basis realer (d. h. deflationärer) Preise in diesem Zeitraum rechnet. Zum anderen sei durch das Nebeneinander von zwei Routen, auf denen Pfeffer und Gewürze in Europa eintrafen, das Monopol des östlichen Mittelmeerraums durch ein Duopol ersetzt worden, was sowohl zu einer Erhöhung der europäischen Importe insgesamt als auch zu niedrigeren Preisen geführt habe. In dieser Hinsicht schlussfolgern die Autoren, dass „die Kaproute die Wettbewerbsstruktur des europäischen Importhandels aus Asien veränderte“, und zwar ein für allemal - eine Situation, die im 17. Jahrhundert noch deutlicher zu Tage trat. Daher ergänzt und bestätigt ihre formale Beschäftigung mit den Preisen in vieler Hinsicht die von Wake auf der Grundlage von Mengenangaben aufgestellte Hypothese.

Abb. 9: Karte Süd- und Ostafrikas sowie des Indischen Ozeans, Jorge oder Pedro Reinel?, um 1509/10, Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek; ibid., S. 37.
Abb. 9: Karte Süd- und Ostafrikas sowie des Indischen Ozeans, Jorge oder Pedro Reinel?, um 1509/10, Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek; ibid., S. 37.

Diese Berechnungen gehen jedoch nicht auf das Problem der kurzfristigen Veränderungen und die Auswirkungen der portugiesischen Ankunft im Indischen Ozean auf den Handel der Landroute vor 1508 ein. In dieser Hinsicht hat eine posthum veröffentlichte Studie des verstorbenen Jean Aubin einen bedeutsamen Fortschritt erzielt. Aubin argumentiert hier, dass frühere Autoren wie Godinho zwei gänzlich unterschiedliche Fragen miteinander vermischten, nämlich das Eintreffen von Pfeffer und Gewürzen in den Häfen des Roten Meeres einerseits und im östlichen Mittelmeerraum andererseits.(24) Aubin legt überzeugend dar, dass die Portugiesen in den ersten Jahren des 16. Jahrhunderts die Schifffahrt aus Kerala und Südostasien schlicht und einfach nicht daran hindern konnten, die Häfen des Roten Meeres und des Persischen Golfs anzulaufen; so stellt er fest, dass auch noch 1504 nach der Expedition von António de Saldanha zur Einfahrt des Roten Meeres „der Erfolg gleich Null war und der Umschlag der Gewürze unberührt blieb“. Zwar kam es bekanntlich zu einer Reihe dramatischer Überfälle, doch die Schiffsressourcen der Portugiesen reichten nicht aus, um die Schifffahrtswege völlig zu versperren.

Aubin kommt daher zu der Schlussfolgerung, dass Autoren wie Giolamo Priuli die Folgen der portugiesischen Präsenz im Indischen Ozean für den Handel der Serenissima völlig überschätzten; Priuli, soviel sei hier noch angemerkt, hatte bereits 1502 geschrieben, dass „man nun den großen Schaden sehen und bemerken kann, den die portugiesischen Karavellen angerichtet haben, die Gewürze aus Indien abtransportieren, so dass keine mehr in Syrien ankommen.(25) Natürlich reagierte Priuli auf eine Realität, die er tatsächlich wahrnahm, nämlich den spürbaren Rückgang an Pfeffer- und Gewürzlieferungen im östlichen Mittelmeerraum um 1500. Dies war aber im Wesentlichen auf schwierige Bedingungen im Hijaz und Jemen zurückzuführen, ein Zusammenhang, den er nicht kennen konnte. Keine der ersten portugiesischen Flotten - weder die von Cabral im Jahr 1500, noch die von João da Nova ein Jahr danach oder die der Albuquerques 1503 - war tatsächlich in der Lage, den Handel wesentlich zu beeinträchtigen. Den einzigen ernsthaften Versuch dazu machte Vicente Sodré in einem Alleingang Anfang 1503, der mit verheerenden Folgen für die portugiesische Flotte bei den Kuria-Muria-Inseln vor der Südküste Arabiens endete.

Über die Situation im Jahr 1502 sagt Aubin daher, dass „die Schwierigkeiten des Sultans, eine vollständige Versorgung (mit Gewürzen) zu gewährleisten, sich aus negativen Auswirkungen ergaben, die nicht auf Cabrals Aufenthalt in Malabar zurückzuführen waren, sondern auf Unruhen im Hijaz, das von Brudermordskriegen zwischen den Scherifen von Mekka heimgesucht wurde. Scherif Barakat hatte im Jahr 1501 Dschidda geplündert, kurz nachdem dort Handelsschiffe aus Indien eingetroffen waren, während einer seiner Brüder unter dem Schutz der syrischen Karawane nach Janbu geflohen war.“ Daher folgert er überzeugend: „Der von der portugiesischen Konkurrenz besessene Girolamo Priuli irrte sich in Bezug auf die Gründe für den Mangel an Gewürzlieferungen in der Levante zwischen Ende 1501 und Anfang 1502.“(26)

Aubin zufolge waren auch im Folgejahr genügend Gewürze in Dschidda eingetroffen, doch wieder sorgten Beduinenangriffe auf die Heiligen Städte, erneute Angriffe auf die syrische Karawane und die Plünderung sowohl Mekkas als auch Dschiddas für ein enormes Chaos. Auch in diesem Fall legt er überzeugend dar, dass „nicht im Indischen Ozean, sondern von Dschidda aus alles blockiert war (...). Die Lahmlegung der islamischen Gewürzroute ist auf die internen Probleme des Mamelucken-Regimes zurückzuführen. “Als sich in der Tat durch die vorübergehende Entschärfung der Probleme im Gebiet des Roten Meeres Ende 1504 und Anfang 1505 die Gelegenheit ergab, konnten die Galeeren aus Beirut und Alexandria wieder laden und eine „ansehnliche Fracht“ an Pfeffer und Gewürzen mit zurückbringen.

Daher müssen wir den angeblich direkten Einfluss der Portu­giesen auf den Handel im Roten Meer vor  1507 radikal in Frage stellen. Aubins Analyse zwingt uns, solche wiederholt geäußer­ten, fast schon paranoid klingenden Klagen von Priuli und Sa­nuto mit äußerster Skepsis zu betrachten: „Die portugiesischen Karavellen haben alles unterbrochen“, „alles ist auf die neue Situation in Kalikut zurückzuführen, die dieses Land hier (d.h. Venedig) ruinieren wird.“ Dennoch bleibt eine interessante Frage offen. Trotz der Anweisungen an Dom Francisco de Al­meida unternahmen die Portugiesen zu jener Zeit keinen ernst­haften Versuch, entweder in Aden oder bei irgendeinem ande­ren Hafen am 25 Kilometer breiten Bab el-Mandeb („Tor der Tränen“) eine Festung zu errichten; die von den Portugiesen von 1507 bis 1511 ohne großen Nutzen gehaltene Insel Soqotra (Suqutra) bildete dabei möglicherweise eine Ausnahme. Ande­rerseits kam es in den Jahren 1507 bis 1509 aber zu einer über­raschenden Gegenoffensive durch das Mamelucken-Sultanat von Ägypten, das eine Flotte entsandte, um dem portugiesischen Bemühen, eine maritime Vormachtstellung im Indischen Ozean zu erreichen, entgegenzuwirken.

Wenn die Portugiesen tatsächlich keine unmittelbare Gefahr für die Gewürzlieferungen in den östlichen Mittelmeerraum darstellten, wie es Aubin so überzeugend darlegt, warum hätte dann Qansuh al-Ghauri, der Sultan von Ägypten, in diesen Jahren eine umfangreiche Expedition zum Angriff auf die Por­tugiesen senden sollen?(27) Zum Teil könnte eine Antwort gerade darin bestehen, dass die Zeitgenossen mit ihren Diagnosen wo­möglich falsch lagen. Dies ist Aubins Deutung von Priuli, den er von einer paranoiden Vorstellung getrieben sieht, bei der die Bedrohung durch die Portugiesen wesentlich größer erschien, als sie tatsächlich war. Könnten nun die Entscheidungsträger im Sultanat von Ägypten möglicherweise diese Vorstellung ge­teilt haben? Aus Aubins minutiöser Durchsicht arabischer Do­kumente geht hervor, dass die ägyptischen Aktionen im Indi­schen Ozean nicht einfach als von Venedig vorangetriebene Kampagnen betrachtet werden können. Ganz im Gegenteil, Venedig und Ägypten mögen zwar zu bestimmten Momenten gemeinsame Interessen verfolgt haben, doch zu anderen Mo­menten wichen ihre Interessen radikal voneinander ab.

Sicherlich dachten die Venezianer schon 1502 über die Not­wendigkeit nach, den gerade in die Position des Sultans erho­benen Qansuh al-Ghauri (reg. 1501-1516)dazu zu bewegen, im Indischen Ozean einzugreifen. Nach der ausgedehnten Regie­rungszeit von Qa'it Bay (reg. 1468-1496) kam es zu einer Reihe von Nachfolgekämpfen, wobei zwischen 1496 und 1501 vier ver­schiedene Sultane auf dem Thron saßen. Unter diesen Umstän­den war es schwierig, mit einer offenkundig instabilen Regierung zu verhandeln. Im Jahr nach Qansuhs Amtsantritt sollte Bene­detto Sanuto, der Gesandte Venedigs in Kairo, dem Sultan die Botschaft überbringen, „wie wichtig es für seine Geschäfte wäre, dass die Gewürze nicht über die Route nach Portugal gelangten“; und später im selben Jahr gründeten die Machthaber der Sere­nissima die sogenannte Zonta di Colocut, die den „Rat der Zehn“ darüber beraten sollte, wie in Zukunft im Indischen Ozean zu verfahren sei. Im Jahr 1504 sollte dieses Organ diskutieren, ob dem Sultan (durch den Gesandten Francesco Teldi) vorzuschla­gen sei, einen Kanal zwischen dem Mittelmeer und dem Roten Meer zu bauen, denn „wenn dieser Kanal fertig ist, könnte man so viele Schiffe und Galeeren wie man wollte zur Verfolgung der Portugiesen schicken, die dann auf keinen Fall mehr in diesen Gewässern bleiben könnten“. Das Projekt wurde später von den Osmanen aufgegriffen, fand aber im Jahr 1504 keine Unterstützung.

Eine dritte Gesandtschaft aus Venedig, die von Alvise Sagu­dino, wurde dann in der zweiten Hälfte des Jahres 1505 mit alarmierenden Nachrichten von weiteren Erfolgen der Portu­giesen im Indischen Ozean nach Kairo geschickt. Diese Nach­richten beruhten auf Briefen von venezianischen Spionen in Lissabon. Es gibt also genügend Belege für Versuche Venedigs, den Sultan zum Handeln zu bewegen; der Sultan scheint seiner­seits seine eigenen Ratgeber gehabt zu haben, und sein Gesand­ter nach Venedig in den Jahren 1506 bis 1507, der Dragoman Taghribirdi (selbst spanischen Ursprungs, d.h. aus Valencia), war in erster Linie daran interessiert, mit Venedig über Alexan­dria zu sprechen.(28) Uns ist nicht bekannt, dass er die Venezianer um irgendeine Hilfe oder Unterstützung technischer Art für die Durchführung einer Expedition im Indischen Ozean bat; Aubin kommentiert das so: „Letzten Endes gab Venedig dem Sultan nicht die Hilfe, die es ihm gegen die Portugiesen gern gegeben hätte, weil der Sultan sie nicht wollte.“(29)

Trotzdem gelang es dem Mamelucken-Sultanat, 1506 eine mächtige Flotte aufzubauen und loszuschicken, wobei man möglicherweise für einen Teil des Baus auf osmanische Hilfe zurückgriff. Die Flotte stand unter dem Kommando vom Emir Husain al-Kurdi Bash al-'Askar, aber es waren keine der ange­seheneren tscherkessischen Mamelucken an Bord; stattdessen war sie größtenteils mit europäischen Renegaten (vom Christen­tum abgekommenen Söldnern), Schwarzafrikanern und einer Reihe anderer (sowohl freiwilliger als auch unfreiwilliger) Grup­pen bemannt, die in zeitgenössischen Texten allgemein als „Levantiner“ bezeichnet wurden. Leider liegen nur sehr wenige zeitgenössische arabische Quellen vor, die detailliert über diese Expedition berichten, weshalb wir auf portugiesische Unterlagen zurückgreifen müssen, in denen die Rolle Venedigs in dieser ganzen Angelegenheit häufig übertrieben dargestellt ist.(30)

(ibid., S. 30-39)

Die Anonyme Chronik ...

 

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