Novos Mundos - Neue Welten
"NOUOS MUNDOS AO MUNDO YRĀO MOSTRANDO"
Vorwort
„Großes Lob und große Ehre sei dem portugiesischen König, denn er hat die Welt vermehrt." So heißt es auf einer 1530 in Straßburg Veröffentlichten Weltkarte, die Lorenz Fries in Anlehnung an eine wenige Jahre zuvor entstandene Darstellung von Martin Waldseemüller geschaffen hatte. Ganz ähnlich sah es 1572 der Portugiese Luis de Camões, der in seinem Epos Die Lusiaden die berühmte Zeile dichtete, Portugal werde der Welt „Neue Welten“ zeigen. Von einer „Neuen Welt“ hatte mit Blick auf Amerika 1502 bereits Amerigo Vespucci gesprochen, was Matthias Ringmann und Martin Waldseemüller wiederum zum Anlass nahmen, ihm zu Ehren den erst vor kurzem in den europäischen Gesichtskreis getretenen Kontinent im Jahr 1507 auf den Namen America zu taufen. Die Faszination, die die portugiesischen Seefahrten im 16.Jahrhundert auslösten, das Staunen über die nach Europa übermittelten Neuigkeiten ist in den zeitgenössischen Berichten an vielen Stellen spürbar.
Natürlich handelt es sich bei all diesen „Entdeckungen“ um Entdeckungen aus einer explizit europäischen Perspektive. Die autochthone Bevölkerung „Amerikas“ hatte diesen Kontinent bereits viele tausend Jahre zuvor entdeckt. Der Entdeckungsbegriff ist daher in der jüngeren Geschichtsschreibung mehr als einmal, und in der Regel zu Recht, kritisiert worden. Und natürlich ist der Globus um 1500 nicht in seinem tatsächlichen Ausmaß größer geworden. Doch wer sich dem Selbstverständnis der damaligen Zeit zu nähern versucht, der kann sich der Einsicht schwer verschließen, dass die Welt im 15. und 16. Jahrhundert in vielerlei Hinsicht „vermehrt“ und neu „entdeckt“ worden ist.
Die erste Globalisierung um 1500 bedeutet in vielerlei Hinsicht grundsätzlich andere Erfahrungen von der Welt. Bereits in der Antike hatten einzelne Gelehrte den Umfang des Globus weitgehend richtig bestimmt. Hinsichtlich der Einschätzung der Kontinente hatte sich die „Alte Welt“ jedoch grundlegend getäuscht. Landmassen schienen kleine Weltmeere weit zu überwiegen. Noch die 1457 bis 1459 in portugiesischem Auftrag entworfene Karte des italienischen Kamaldulensermönchs Fra Mauro führt dies deutlich vor Augen. Durch die Befahrung der Ozeane wuchs die Kenntnis von den ungeheuren Wassermassen, die die Welt bedeckten. Die tatsächlichen Entfernungen stellten sich als wesentlich größer heraus als zu Beginn der Neuzeit berechnet und erhofft.
Im Laufe dieser Expeditionen stießen europäische Seefahrer um die Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert innerhalb einer erstaunlich kurzen Zeitspanne auf eine Vielzahl zuvor unbekannter Kulturen und Regionen, mit denen es sich auseinanderzusetzen galt und die das -wohlgemerkt gegenseitige - Bild, das man von „Anderen“ bzw. „der Welt“ bis dahin hatte, erweiterten, bereicherten und differenzierten. 1488 fuhr Bartolomeu Dias mit seiner Mannschaft weit über die Grenzen des Bekannten hinaus. Ihm gelang die erstmalige Umschiffung der Südspitze Afrikas. Zehn Jahre später segelte Vasco da Gama um dieses nunmehr sogenannte Kap der Guten Hoffnung bis nach Indien. Die lange gesuchte Verbindung zwischen dem Atlantik und dem Indischen Ozean, der nach ptolemäischer Vorstellung noch als Binnenmeer galt, war gefunden. Ein regelmäßiger Linienverkehr begann sich zu etablieren. Der mit großer Dynamik wachsende Welthandel verflocht sich in immer kürzeren Zeiträumen um den Globus und schuf neue Fluktuationsräume für Waren und Kenntnisse. Die Erschließung eines direkten Seeweges, der den unmittelbaren Kontakt zwischen den Völkern ermöglichte, gehört zu den wesentlichen Ergebnissen der portugiesischen Expeditionen. Der ältere Fernhandel nach Ostasien und Afrika lief mittelbar über den Landweg als Tausch von Waren, über lange Wege und eine Vielzahl von Wegezöllen. Nun wurden diese Landesgrenzen umschifft. Die direkte Konfrontation mit den neuen Regionen und Völkern der Erde führte zu einem in Masse und Geschwindigkeit bis dahin unbekannten Austausch von Menschen, Handelswaren, Rohstoffen und Ideen, wobei die Einfuhr von Tieren, Pflanzen - aber auch Krankheitserregern- gravierende Veränderungen in den Lebensgrundlagen der vier bekannten Kontinente mit sich brachte.
Die neuen Kenntnisse und Produkte fanden in vielen Bereichen rasch ihren Niederschlag. Kartografen bildeten die Welt immer wirklichkeitsgetreuer ab. Gewürze und Medikamente, die ehemals seltene Luxuswaren oder ganz unbekannt waren, bereicherten in immer größeren Mengen das Angebot auf Europas Märkten. Künstler von Portugal bis Japan verarbeiteten die neuen Eindrücke in ihren Werken. Das anhaltende Interesse an fremden Regionen und einer Überschreitung der Grenzen des Wissens waren prägende Elemente der Zeit um 1500. Die eigene Position auf dem Globus musste neu definiert werden. Die entstehenden Kunstkammern waren kosmopolitische Sammlungen, Schatzkammern des Wissens und der - überwiegend exotischen- Materie. Es sind die ältesten europäischen Museen. In diesen Museen der Welt war sowohl das Vergangene als auch das Ferne versammelt und diente der Erörterung.
Dabei ist unbestritten, dass es sich bei diesen „Kulturbegegnungen“ oftmals nicht um ein friedliches Kennenlernen handelte. Nur allzu häufig setzte der jeweils Stärkere seine Interessen mit Gewalt durch. So wurden auch die neuen Kenntnisse teils weniger im Rahmen einer allgemeinen Wissensvermehrung, sondern machtpolitisch aus dem Blickwinkel des strategischen Vorteils eingesetzt: Weltkarten, Seekarten und Landkarten waren, solange Sie unpubliziert blieben, wohl gehütete Staatsgeheimnisse, veröffentlicht und gedruckt aber konnten sie zu Behauptungen, Forderungen, Unterstellungen und bisweilen zu Kriegserklärungen werden. Karten waren Bilder von Weltvorstellungen, doch konnten sie auch Wunschvorstellungen von der politischen Gestalt der Erde wiedergeben. Sie gehören dann, wie beispielsweise die spanische Weltkarte in der Ausstellung zeigt, in den Bereich der Propaganda und nicht der objektiven Wissensvermittlung. Die alten Karten unter diesem Gesichtspunkt zu überprüfen bleibt ein lohnendes Unterfangen.
Wie sehr all diese Entwicklungen bis heute nachwirken, zeigt sich in aktuellen Debatten, in denen Historiker wie Hermann Hiery im Rückblick auf die „Zeit der Entdeckungen“ nach den Beweggründen für eine „Europäisierung der Welt“, fragen oder Philosophen wie Peter Sloterdijk die Entstehung eines „Weltinnenraums des Kapitals“ auszuloten versuchen. Pointiert charakterisiert Sloterdijk (2006, S. 82) die anhaltenden Folgen der sozialen Dynamik dieser Prozesse: „Es gehört zu den tiefen Gedanken des 16. Jahrhunderts, dass es neben dem Geburtsadel, der seit mythischen Zeiten obenauf ist, und dem Amtsadel, der begonnen hat, sich im Dienst der frühneuzeitlichen Staaten unentbehrlich zu machen, schon den anarchischen Adel der Zukunft promoviert, den Glücksadel, der als das wahre Kind der Neuzeit dem Schoß der Fortuna allein entspringt. Aus diesem Zufallsadel wird sich die Prominenz des Globalisierungszeitalters rekrutieren - eine Gesellschaft aus nachtwandlerisch Reichgewordenen, Berühmten und Begünstigten, die nie recht begreifen, was sie nach oben getragen hat.“
Das Deutsche Historische Museum nimmt den Wechsel der EU-Ratspräsidentschaft, die zur Jahresmitte 2007 von Deutschland an Portugal überging, zum Anlass, um mit „Novos Mundos - Nette Welten. Portugal und das Zeitalter der Entdeckungen“ die Geschichte des Landes, das an den weltweiten und „Neue Welten“ verbindenden Entwicklungen des 15. und 16. Jahrhunderts maßgeblichen Anteil hatte, einem breiten Publikum nahezubringen. Der aktuelle Bezug bietet Gelegenheit, wegweisende, aber im deutschsprachigen Raum trotz ihrer globalen Bedeutung nur selten in Ausstellungsform dargestellte Prozesse zu beleuchten, erfolgte die Auseinandersetzung mit der Entdeckungsgeschichte des 16. Jahrhunderts hierzulande bisher doch meist in Einengung auf die spanischen Eroberungen in Amerika.
In 15 Abschnitten thematisiert die Ausstellung sowohl die mittelalterliche und frühneuzeitliche Geschichte des Königreichs Portugal als auch die Auswirkungen seiner Seeunternehmungen nach Übersee. Politische und weltwirtschaftliche Aspekte kommen dabei ebenso zur Sprache wie religiöse, wissenschaftlich-technische und künstlerische Entwicklungen. Dass mit Portugal ein europäisches Land im Mittelpunkt der Darstellung steht, mit Ferdinand Magellan ein Europäer der erste Weltumsegler war, bedeutet allerdings nicht, dass die Ausstellung Europa als Mittelpunkt der Welt, den europäischen Blick als Maßstab der Weltgeschichte begreift. Ambivalenzen und Wechselseitigkeiten der interkulturellen Begegnungen werden an vielen Stellen aufgegriffen und aus unterschiedlicher Perspektive thematisiert.
Den roten Faden der Ausstellung stellt jedoch klar die weltumspannende Geschichte Portugals dar. Darüber hinaus war es uns ein Anliegen, auch die innereuropäischen Auswirkungen, und hier vor allem die portugiesisch-deutschen Berührungspunkte jener Zeit in Exponaten und Texten deutlich zu machen. Gab es mit den Heiratsbeziehungen des Adels, den Länder übergreifenden Handelsaktivitäten der Kaufmannsgesellschaften, dem Austausch von Handwerkstechniken und wissenschaftlichen Ergebnissen, aber auch der internationalen Besetzung von Missionsorden, Schiffsmannschaften oder Söldnerheeren doch eine Vielzahl von Anknüpfungspunkten, die die genuin portugiesischen Entdeckungsfahrten stets eng mit dem restlichen Europa verbanden.
Zwei Jubiläen legen das Aufgreifen dieser Beziehungen 2007 darüber hinaus besonders nahe. So jährte sich am 29. Juli zum 500. Mal der Todestag des Nürnberger Martin Behaim, der 1485 im portugiesischen Alcáçovas zum Ritter geschlagen wurde, 1492/93 in Nürnberg den ältesten erhaltenen Erdglobus schuf und 1507 schließlich in Lissabon verstarb. Vor genau 500 Jahren erfolgte zudem, wie eingangs erwähnt, durch Matthias Ringmann und Martin Waldseemüller im Vogesenstädtchen Saint Dié die “Taufe“ Amerikas. Und auch eine fast zeitgleich in Washington entstandene Ausstellung, “Encompassing the Globe. Portugal and the World in the 16th & 17th Centuries«, verdeutlicht das große Interesse, das die Geschichte der Entdeckungsfahrten im Jahr der portugiesischen EU-Ratspräsidentschaft auf sich zieht.
Wer sich die Aufgabe stellt, eine so umfassende Epoche der Weltgeschichte auf gut 1000 Quadratmetern bzw. 640 Seiten darzustellen, kommt nicht umhin, eine Auswahl zu treffen aus dem, was gezeigt und erzählt werden kann. Um dabei der Vielschichtigkeit der genannten Entwicklungen und der Heterogenität des geschichtlichen Ablaufs Tribut zu zollen, denen man mit einer monolinearen Perspektive oder einer plakativen These eben gerade nicht gerecht zu werden vermag, finden sich dem Katalogteil noch einmal 22 Essays vorangestellt, bei denen es sich um die erweiterten Ergebnisse eines Symposiums handelt, das das Deutsche Historische Museum vom 23. bis 25. November 2006 zur Vorbereitung der Ausstellung organisierte. Namhafte Fachwissenschaftler mit unterschiedlichen regionalen und thematischen Schwerpunkten tragen mit ihren Beiträgen zu einem breit gefächerten und interdisziplinär ausgerichteten Überblick bei, wobei es ein Anliegen unserer Kooperation war, es gerade auch portugiesischen Fachkollegen zu ermöglichen, ihre neuesten Forschungsergebnisse einem deutschsprachigen Publikum vorzustellen. (...)
(Auszug aus dem Vorwort, ibid., S.15-17)
Portugiesisch-Asiatische Begegnung ...