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Welche Bilanz kann man nun aus den ersten zehn Jahren der portugiesischen Präsenz im Indischen Ozean ziehen?

Welche Bilanz kann man nun aus den ersten zehn Jahren der portugiesischen Präsenz im Indischen Ozean ziehen? Zum einen könnte man diese Frage durch die Augen des ersten Vizekönigs, Dom Francisco de Almeida, selbst betrachten, denn er schickte im Dezember 1508, kurz bevor er nach Diu aufbrach, einen langen Brief an König Dom Manuel. In diesem Brief legte Almeida dar, was zu den bekannten Elementen eines bestimmten Konzepts der portugiesischen Aktivität im Indischen Ozean wurde.

Abb. 11: Ägyptischer Leuchter mit venezianischem Wappen, 14. Jahrhundert, Kat.-Nr. III.21; ibid., S. 42.
Abb. 11: Ägyptischer Leuchter mit venezianischem Wappen, 14. Jahrhundert, Kat.-Nr. III.21; ibid., S. 42.
Almeidas Ansicht nach sollten Kochi und die Malabar-­Küste zu den wahren Zentren der Aktivität gemacht und der Pfeffer- und Gewürzhandel von dort betrieben werden. Die Rolle des Vizekönigs bestünde dann in erster Linie darin, für eine effiziente Beschaffung von Pfeffer in Kochi und der nähe­ren Umgebung zu sorgen sowie an der indischen Küste zu patrouillieren, um die rivalisierende einheimische Schifffahrt in Grenzen zu halten. Südostasien war demnach von beschränktem Interesse, und Almeida hielt eine Niederlassung in Malakka für viel zu riskant; auch wenn einiger Pfeffer aus Sumatra zum Roten Meer transportiert würde, maß der Vizekönig dem keine großc Bedeutung zu.

Ebenso wenig sollten die Portugiesen sich seiner Meinung nach mit einem Angriff oder einer Blockade des Roten Meeres beschäftigen - er schlug sogar vor, die gerade erst errichtete Festung auf Soqotra wieder abzureißen. „Es würde Euch nichts nützen“, so seine Worte an den König, „wenn (Eure Flotten) El Tur erreichen sollten und gleichzeitig hier (in Indien) Eure Frachtschiffe überfallen und Eure Festungen zerstört würden. Wenn man Euch sagt, dass eine Flotte (der Mamelucken) auf offener See daran gehindert werden kann, hier anzukommen, so sage ich Euch, dass die Venezianer und die Leute des Sultans in Diu sind, wo sie die Schiffe und Galeeren bauen, gegen die wir kämpfen müssen, und dort gibt es Holz in Hülle und Fülle (...) sowie jede Menge Metall für Artillerie und die hervorragendsten Handwerker.“(42)

Dies ist eine ziemlich minimalistische Sichtweise, die viel mit dem Standpunkt gemein hat, den Auto­ren wie Dom Aires da Gama und Diogo Pereira Jahrzehnte später vertreten sollten.(43) Es ist aber keinesfalls ein Zeichen des Pazifismus, wenn es heißt, dass die Portugiesen ihre Flotten oder ihre wichtigsten Festungen (wie Kochi) aufgeben sollten. Dass die Interessen der Portugiesen denen der meisten muslimischen Kaufleute im Indischen Ozean genauso wie jenen des Mamelu­cken-Sultanats (und der mit Kairo gemeinsame Sache machenden Venezianer) diametral entgegenstanden, wurde gar nicht erst in Frage gestellt.

Die Meinungsunterschiede bei den Portugiesen - zwischen der von Almeida vertretenen „minimalistischen“ Strategie und einer von Lissabon ausgehenden aggressiveren Vorstellung - waren, wie wir gesehen haben, ein wichtiger Grund für den Optimismus der Venezianer bezüglich der schlechten Zukunfts­aussichten der Portugiesen in Asien. Auch in dem langen Streit im Jahr 1509 kamen diese unterschiedlichen Ansichten wieder zum Vorschein, als sich Dom Francisco de Almeida trotz gegen­sätzlicher königlicher Anordnungen monatelang weigerte, das Amt des Gouverneurs an Afonso de Albuquerque abzutreten. Die Differenzen hatten auch Einfluss auf das Bild, das sich einige der asiatischen Gegner von den Portugiesen machten. Im Sep­tember1508, als Afonso de Albuquerque zum zweiten Mal vor Hormus auftauchte, versuchte der gewiefte Khwaja Kamalud­din 'Ata Sultani - ein Eunuch bengalischer Herkunft, der als Wazīr in diesem Inselkönigreich zu enormer Macht gelangt war - diese Differenzen unter den Portugiesen auszunutzen. Mit Briefen von Dom Francisco de Almeida bewaffnet, behandelte er Albuquerque nicht als teuflischen Franken, sondern eher als „Untreuen gegenüber dem König von Portugal“ (harām-khwār-­i pādshāh-i Burtukāl) und als unaufrichtigen Mann, der von seinen eigenen Kapitänen und Soldaten, „die alle die Hoffnung auf Euch aufgegeben haben“, gehasst Lind verachtet wurde. (44)

Eine solche Strategie des „Teilens und Beherrschens“ sollte einigen asiatischen Akteuren im ersten Jahrzehnt der portugie­sischen Präsenz im Indischen Ozean von großem Nutzen sein. Doch die Machtergreifung Albuquerques Ende 1509 und der Aufbruch Almeidas nach Portugal leiteten eine nette Phase ein. Die portugiesische Macht breitete sich 1510 bis nach Goa aus, 1511 bis nach Malakka, und 1514 sollte Hormus wieder einge­nommen werden. Im Jahr 1515 schließlich glaubte abgesehen von einigen extremen Optimisten in Venedig niemand mehr daran, dass die Existenz des portugiesischen Estado da Índia einfach wieder rückgängig zu machen sei.

Mit der vorausgegangenen Diskussion sollten bestimmte charakteristische Merkmale des ersten Jahrzehnts der portugie­sischen Präsenz im Indischen Ozean hervorgehoben werden, unter denen Gewalt zweifelsohne ein führendes Element war. Von der zweiten, von Cabral geleiteten portugiesischen Reise nach Kerala an machten die Portugiesen klar, dass sie nicht gekommen waren, um friedlich zu handeln, und dass sie ihre bewaffneten Schiffe einsetzen würden, um Gegner anzugreifen, Häfen zu bombardieren und die rivalisierende Schifffahrt zu zerstören. Angesichts dieser Tatsache entsprach die ägyptische Reaktion einer Strategie, die später auch von den Osmanen in Betracht gezogen wurde, ebenso wie von den Niederländern und Engländern. Gewalt konnte mit Gewalt begegnet werden, oder aber- wie es der verstorbene Ashin Das Gupta ausdrückte - mit „Täuschungsmanövern“ (chicanery). In diesem Zusam­menhang ist die Reaktion Venedigs interessant. Das ganze 16. Jahrhundert hindurch versuchte es nie, das portugiesische Monopol über die Kaproute direkt anzugreifen; diese Strategie benutzten hingegen die Franzosen, und zwar sowohl am Anfang jenes Jahrhunderts (so Gonneville) als auch in den 1520er Jahren (mit den Verrazzanos).(45)

Hätten die Portugiesen sich anders verhalten können?

Hätten die Portugiesen sich anders verhalten können? Einige Historiker bejahen dies und argumentieren, dass die Option des friedlichen Handels einen Versuch wert gewesen wäre. Dieser Ansicht zufolge hätten die Portugiesen in den Häfen Indiens Faktoreien aufbauen und genau wie alle anderen Kaufleute Han­del treiben können.(46) Sie hätten weder Festungen errichten noch asiatische Schiffe angreifen müssen. Lediglich zur Verteidigung ihres Monopols über die Kaproute hätten sie Streitkräfte ein­setzen müssen.

In den Dokumenten des 16. Jahrhunderts findet solch eine Sichtweise allerdings wenig Rückhalt. In Portugal votierte nie­mand von Rang und Namen für diese Option. Die Debatte drehte sich stattdessen um die Anzahl von Festungen und da­rum, wie viel Gewalt gegen die asiatische Konkurrenz angewandt werden sollte. Selbst Dom Francisco de Almeida, einer der „Mini­malisten“ unter den Portugiesen, verteidigte seinen Standpunkt nicht mit moralischen Gründen, sondern mit dem Mangel an Ressourcen: „Ohne viele Männer sind keine großen Ergebnisse zu erzielen“ (as grandes cousas nom se fazem sem muita gente), schrieb er im Dezember 1505 aus Kochi an König Dom Manuel. Die vielleicht einzige Ausnahme ist die Stimme des edelgesinnten Testamentsverwalters (provedor dos defuntos) Gonçalo Fernandes, der Ende 1510 in einem Brief an den König seine Meinung kundtat, wonach die portugiesische Neigung zur Gewaltanwendung die Einheimischen Indiens gegen die Por­tugiesen aulbrächte.(47) Er schlug vor, keine Festungen außerhalb von Kochi zu errichten, selbst wenn dies den Portugiesen von den lokalen Herrschern angeboten würde. Der portugiesische König sollte stattdessen Gesandte in die wichtigsten Küstenzen­tren schicken (pera todolos lugares de toda a costa, onde se poder notificar), um das Verhalten der Portugiesen in der Vergangen­heit als Zeichen eines Mangels an Untergebenheit ihm gegen­über zu verurteilen.

Er sprach sich also dafür aus, dass sich die Portugiesen von nun an „wie Menschen“ und nicht „wie Schlangen“ verhalten sollten, eine Meinung, die er mit zahlreichen Verweisen „auf die Heilige Schrift unterlegte. Er fügte hinzu: „Allerdings (solltet Ihr sagen), dass Ihr-auch wenn schon von der einen und der anderen Seite so viel Unheil angerichtet wurde, was nie in Eurer Absicht lag - gerne alles vergessen machen wollt und es Euch erfreuen würde, wenn man (von nun an) auf gutem Fuße miteinander stünde, und dass Ihr ihnen Schutz bieten würdet, damit sie und ihre Schiffe mit Besatzung und Waren, wann und wo auch immer sie möchten, segeln können, außer dort, wo Eure Hoheit dies nicht wünscht - auch wenn ich daran zweifle, dass Letzteres für Eure Zwecke von Nutzen sein wird - und Ihr könntet ihnen versprechen, dass Eure Leute ihnen nie irgend­einen Schaden oder Böses zufügen, sondern vielmehr den best­möglichen Umgang miteinander (anbieten) werden.“(48)

Fernandes, der behauptete, dass die lokalen Herrscher dem portugiesischen König einen kleinen Tribut zahlen würden, wenn alles wie vorgeschlagen geschähe, war offensichtlich ein einsamer Rufer in der Wüste - und wäre es genauso auch im spanischen Amerika gewesen. Bei den beiden iberischen Expansionsprojekten im 16. Jahrhundert, von denen keines als reine Geschäftsangelegenheit von Kaufleuten entworfen wurde, war die Staatsmacht einfach ein zu zentraler Faktor. Ämter, Beloh­nungen, Tribute und Abgaben motivierten die wichtigsten Beteiligten (mas, estonces, nom averia (a)hy presas nem tributos, wie Fernandes schrieb), und die Krone selbst war alles andere als ein schlicht auf Gewinnmaximierung bedachtes Unterneh­men. Alles in allem konnte Portugal im Indischen Ozean nicht so agieren wie Venedig in Beirut und Alexandria, obwohl auch die venezianische Rechtschaffenheit in ihrem adriatischen und ägäischen Hinterhof begrenzter war als dort, wo der Serenissima die Macht der Mamelucken gegenüberstand.(49)

Doch schließlich waren die Portugiesen nicht die Einzigen, die solchen Beschrän­kungen unterlagen. Wie wir im Nachhinein feststellen können, erging es auch anderen europäischen Mächten so, als sie ihnen im späten 17. und frühen 17. Jahrhundert in den Indischen Ozean folgten.

(ibid., S. 41-43)

 

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