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Die Barbarei der anderen - Europäischer Universalismus

"To Anouar Abdel-Malek, who has spent his life trying to foster a more universal universalism"

Immanuel Maurice Wallerstein

Kann man Nicht-Orientalist sein ? - Essentieller Partikularismus

"Bis ins 18. Jahrhundert waren die Themen, die Sepúlveda und Las Casas erörtert hatten, nicht mehr Gegenstand heftiger Debatten. Die Europäer hatten sich daran gewöhnt, daß die Legitimität ihrer Kolonialherrschaft in Amerika und anderen Teilen der Welt generell akzeptiert wurde. Sofern die öffentliche Debatte über die Kolonialgebiete überhaupt weiterging, konzentrierte sie sich in erster Linie auf das Recht der Autonomie der europäischen Siedler in diesen Gebieten und weniger darauf, wie Europäer sich gegenüber den eingeborenen Bevölkerungen verhalten sollten. Dennoch kamen die Europäer jetzt in ihren Expansionsbestrebungen, Reisen und Handelsbeziehungen - vor allem in Asien - immer häufiger in Kontakt mit Bewohnern jener Zonen, die man im 19. Jahrhundert als "Hochkulturen" bezeichnete - ein Konzept, da sich unter anderem auf China, Indien, Persien und das Ottomanische Reich erstreckte (...)"

Wallerstein, Immanuel: Die Barbarei der anderen. Europäischer Universalismus. Deutsche Erstausgabe. Berlin: Verlag Klaus Wagenbach 2007, S. 41.

Europa und die ...

Europa und die von europäischer Kultur geprägten westlichen Mächte betrachten es als ihr selbstverständliches Recht, in anderen Regionen der Welt zu intervenieren und den dort lebenden Menschen - notfalls auch mit Gewalt - ein Leben nach den Maßstäben der abendländichen Kultur zu vermitteln.

 

Ein heute ebenso fragwürdiges Unterfangen wie im Mittelalter, findet Immanuel Wallerstein. Einer global agierenden Politik, die hehre Überzeugungen benutzt, um handfeste wirtschaftliche Interessen durchzusetzen, stellt er überzeugend seine Vorstellung einer nur im weltweiten Zusammenwirken zu erreichenden friedlichen Entwicklung entgegen.

"Wallersteins Überlegungen, seine neue Sichtweise und Einordnung sind bezwingend, haben geradezu revolutionäre Auswirkungen auf die allgemeine Weltsicht und das gegenwärtige Denken."

Fernand Braudel

 

Verlag Klaus Wagenbach

Immanuel Maurice Wallerstein,

1930 in New York geboren, ist Gründer des Fernand Braudel Center in New York und war mehrmals Directeur d'études associé an der École des Hautes Études en Sciences Sociales in Paris. Der Historiker und Sozialwissenschaftler ist Autor des Standardwerks Das moderne Weltsystem.

"Orientalism in Crisis"

"Nach 1945 hatte sich die geopolitische Situation des Weltsystems erheblich verändert. Der Krieg gegen den Nationalsozialismus hatte dem essentialistischen  Rassismus, aus dem die Nazis solch schreckliche Folgerungen gezogen hatten, seinen Glanz genommen. Noch wichtiger war, daß sich die nicht-europäische Welt, über welche die Orientalisten geschrieben hatten, in offener politischer Rebellion gegen die Kontrolle ihrer Länder durch den Westen befand. Überall in Asien und Afrika kam es zu antikolonialen Revolutionen, und auch in Lateinamerika fanden interne politisch-kulturelle Wandlungsprozesse statt (...)"

(ibid., S. 44)

"1963 veröffentlichte Anouar Abdel-Malek

einen Artikel, der die Auswirkungen dieser politischen Veränderungen auf die Welt der Wissenschaft nachzeichnete. Der Titel lautete "Orientalism in Crisis". Er analysierte die beiden historischen Hauptprämissen der Orientalisten. Was die formale Methode betrifft, so argumentierte er, hätten die Orientalisten etwas Abstraktes, den Orient, als Wissenschaftgebiet konstruiert. Auf der inhaltlich-thematischen Ebene hingegen hätten sie sich eine essentialistische Konzeption ihres Gegenstandes zu eigen gemacht. Abdel-Maleks Angriff auf diese beiden Prämissen galt seinerzeit als intellektuell (und politisch) radikal, obwohl uns dies heute fast als Allgemeinplatz erscheint:

Wir gelangen zu einer Typologie, die auf einer realen, aber von der Geschichte losgelösten Geschichte basiert und deshalb als immateriell und essentiell gilt. Sie verwandelt das Studien"objekt" in ein anderes, zu dem sich das studierende Subjekt transzendent verhält; wir werden einen  h o m o  S i n i c u s , einen  h o m o  A f r i c a n u s, einen  h o m o  A r a b i c u s  (und warum nicht auch einen  h o m o  A e g y p t i c u s ?) haben, während der Mensch - der "normale Mensch" - der Europäer der geschichtlichen Periode nach der griechischen Antike ist. Wir können somit klar sehen, wie der von Marx und Engels aufgedeckte Hegemonismus der herrschenden Minderheiten und der von Freud entlarvte Anthropozentrismus im 18. und 19. Jahrhundert Hand in Hand gehen mit dem Eurozentrismus in den Geistes- und Sozialwissenschaften, insbesondere in jenen, die sich direkt mit nicht-europäischen Völkern befassen. ((1972) 1981, S. 77-78)

In der pan-europäischen Welt wurde Abdel-Malek allerdings nur von einer kleinen Gruppe von Spezialisten gelesen. Es war das fünfzehn Jahre später veröffentlichte Buch von Edward W. Said, Orientalism ((1978) 2003), das eine heftige Debatte darüber auslöste, wie der Orientalismus die Kenntnis und die Interpretation der Realität in den nicht-westlichen Gebieten der modernen Welt bestimmte (...)"

(ibid.,S. 44-45)

"Edward Saids Buch

untersuchte das akademische Forschungsfeld des Orientalismus, insbesondere jenen Teilbereich, der sich mit der arabisch-islamischen Welt befaßte. Aber noch wichtiger war, daß Said untersuchte, was er als "allgemeinere Bedeutung" des Orientalismus bezeichnete, "eine Denkweise, die auf einer ontologischen und epistemologischen Unterscheidung beruht, die zwischen "dem Orient, und (zumeist) "dem Okzident" gezogen wird" (1978 (2003), S. 2). Er sah im Orientalismus jedoch nicht nur eine Denkschule. Dieser war auch, wie er behauptete, "eine korporative Institution der Beschäftigung mit dem Orient ... eine enorm systematische Disziplin, mittels derer die europäische Kultur nach der Zeit der Aufklärung in der Lage war, den Orient politisch, soziologisch, militärisch, ideologisch, wissenschaftlich und schöpferisch zu bewältigen, ja sogar erst hervorzubringen." (S. 3)

Und dann fügte Said hinzu: "Wenn man den Orientalismus einfach als Rationalisierung der Kolonialherrschaft bezeichnet, so ignoriert man, in welchem Ausmaß der Kolonialismus durch den Orientalismus gerechtfertigt wurde, und zwar von vornherein und nicht im nachhinein." (S. 39). Denn der "Orientalismus ist im wesentlichen eine politische Doktrin, die sich den Orient unterwarf, da dieser schwächer war als der Westen" (S. 204).

Zudem ist der Orientalismus in Saids Sicht als Denkweise auf sich selbst beschränkt und intellektuellen Herausforderungen gegenüber nicht offen:

"Der Orientalist überblickt den Orient aus der Vogelperspektive, um so das gesamte vor ihm ausgebreitete Panorama - Kultur, Religion, Denkweisen, Geschichte, Gesellschaft - in den Griff zu bekommen. Um dies zu erreichen, muß er jede Einzelheit mittels einer Linse reduzierender Kategorien (die Semiten, die muslimische Denkweise, der Orient usw.) betrachten. Da diese Kategorien in erster Linie schematisch und effizient sind und da mehr oder weniger davon ausgegangen wird, daß kein Orientale sich selbst in der Weise kennen kann wie dies ein Orientalist kann, so beruht letztlich jede Sicht des Orients auf der Kohärenz der Person, der Institution oder des Diskurses, zu denen sie gehört. Jede umfassende Sichtweise ist grundsätzlich konservativ, und wir haben festgestellt, wie sich diese Ideen, trotz der Beweise, die sie in Frage stellten, in der Geschichte der Ideen über den Nahen Osten gehalten haben. (Tatsächlich können wir argumentieren, daß diese Ideen Beweise produzieren, die ihre Stichhaltigkeit beweisen). (S. 239)

Im Nachwort zu seinem Buch, das fünfzehn Jahre nach dessen erster Veröffentlichung verfaßt wurde, behauptete Said, daß die Wut und der Widerstand, auf die sein Buch und andere Bücher mit ähnlicher Argumentation stießen, gerade dadurch zu erklären seien, "daß sie den naiven Glauben an eine gewisse Positivität und unveränderliche Historizität einer Kultur, eines Selbst, einer nationalen Identität zu untergraben schienen." (S. 332)

(ibid., S.44-45)

"Lucid, informed, and insightful."

The New York Times

 

"A prolific, provocative, "big-picture" theorist."

Booklist

 

"Wallerstein's ideas are compelling ... (They provide) a new explanation, a new classification, indeed a revolutionary one, of received knowledge and current thought."

Fernand Braudel

 

Weiterführende Literatur:

Abdel-Malek, Anouar. "Orientalism in Crisis." In Orientalism: A Reader, edited by A. L. Macfie, 47-56. New York: New York University Press, 2000. (originally published in Diogenes 44 (Winter 1963): 104-112).

Verlag Klaus Wagenbach
Wallerstein, Immanuel: Die Barbarei der anderen. Europäischer Universalismus. Deutsche Erstausgabe. Aus dem amerikanischen Englisch von Jürgen Pelzer. Berlin: Klaus Wagenbach Verlag  2007. Kartoniert. 112 Seiten.
Wallerstein, Immanuel: Die Barbarei der anderen. Europäischer Universalismus. Deutsche Erstausgabe. Aus dem amerikanischen Englisch von Jürgen Pelzer. Berlin: Klaus Wagenbach Verlag 2007. Kartoniert. 112 Seiten.
The New Press
Wallerstein, Immanuel: European Universalism. The Rhetorik of Power. New York: The New Press 2006.
Wallerstein, Immanuel: European Universalism. The Rhetorik of Power. New York: The New Press 2006.