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Ursprung und Geschichte des Superbia-Gedankens

Im Buch Jesus Sirach werden Verhaltensregeln fur den weisen Herrscher gelistet (10,1-15), doch was wie eine Anleitung zu gottesfürchtigem Regieren beginnt, das weitet sich schon nach wenigen Versen in eine wütende Rede gegen den Hochmut aus: ,,Ein weiser Regent schafft seinem Volk Bestand; und wo ein Verständiger am Ruder ist, da herrscht Sicherheit. Wie der Regent ist, so sind auch seine Amtleute; wie der Rat ist, so sind auch die Bürger. Ein zuchtloser König richtet Land und Leute zugrunde; wenn aber die Mächtigen klug sind, so gedeiht die Stadt. Alle Herrschaft auf Erden liegt in Gottes Händen; und zur rechten Zeit schickt er den rechten Mann. Es liegt in Gottes Händen, ob ein Mann Erfolg hat, mit dem Gesetzgeber gibt er seine Würde. Rechne deinem Nächsten seine Missetat nicht an, und behandle ihn niemals von oben herab! Den Hoffärtigen sind Gott und die Welt Feind; denn das Unrecht ist allen beiden verhasst. Durch Gewalt, Unrecht und Habgier geht die Königsherrschaft von einem Volk aufs andre über. Was überhebt sich der Mensch, der nur Schmutz und Kot ist? Nichts anderes scheiden ja seine Eingeweide aus, solange er lebt. Eine leichte Krankheit — der Arzt scherzt; und doch heißt’s: Heute Konig, morgen tot! Und wenn der Mensch tot ist, fressen ihn Maden und Würmer. Daher kommt aller Hochmut: wenn ein Mensch von Gott abfällt und sein Herz von seinem Schöpfer weicht. Hochmut ist der Anfang aller Sünde, und wer an ihm festhält, der richtet viel Gräuel an."
Farbabb. 3: Superbia, Somme le Roi, Paris, Bibliothèque de l' Arsenal, MS 6329, fol. 102v; ebd., S. 83
Farbabb. 3: Superbia, Somme le Roi, Paris, Bibliothèque de l' Arsenal, MS 6329, fol. 102v; ebd., S. 83

Superbia, der Hochmut (22), ist nicht irgendeine unter den Sünden, so lehrt der Verfasser dieses biblischen Buches, ,,Jesus, Sohn Eleasars, des Sohnes Sirachs". Sie ist der Ursprung aller anderen Laster und gleichbedeutend mit der Abkehr von Gott. Kein Zweifel wird daran gelassen, daß Superbia die herausragende Stellung unter den Lastern zukommt. Eine Prominenz mit Folgen. Denn die Warnung, der Christ müsse sich vor dem Hochmut als dem Ursprung aller Sünde in Acht nehmen und ihm die Tugend der Demut in jedem Falle vorziehen, um nicht zu den Verdammten zu gehören, ist ein Kernstück der mittelalterlichen Ethik geworden. Immer wieder berufen sich die Kirchenlehrer auf diese Bibelstelle, wenn sie von den Gefahren des Hochmuts und den Mitteln zu ihrer Abwehr oder Überwindung sprechen. (23)

Das Buch Jesus Sirach hat wegen seiner späten Entstehung um 180 v. Chr. keinen Eingang in den jüdischen Kanon gefunden. Die Kirche aber deklarierte es wie die anderen apokryphen Bücher als Heilige Schrift. (24) Für den Superbia-Gedanken (25) des Alten Testaments ist das Buch Jesus Sirach von herausragender Bedeutung, da es ihn in seiner ganzen Breite erfaßt. Nur an wenigen Stellen erhält ,,superbia" im Alten Testament eine positive Bedeutung wie ,,Größe", ,,Pracht" (Jes 14,11; 60,15; Spr 8,18). Diese sind oft Grund für eine Selbstüberschätzung, aus der neben dem Ungehorsam gegen jedwede Herrschaft (Est 16,2) der Ungehorsam gegen Jahwe und seinen Willen (Dtn 1,43; 2 Esra 9,16; Est 13,12; Jdt 13,28; Jer 13,9f.), der Inbegriff der Sünde für einen Israeliten entspringt. Superbia im Alten Testment, das ist der Übermut als Überschreitung des richtigen Maßes unter Verletzung göttlichen und menschlichen Rechts.

Doch trotz ständiger Warnungen vor dem Laster des Hochmuts (Sir 10,7; Jer 13,15-17) kommte es immer wieder dazu, daß sich die Menschen in hochmütigem Stolz selbst überschätzen. Macht und Reichtümer - entsprechend häufig erscheinen Herrscher als die Hochmütigen in der Bibel - sind ihnen Anlaß, die Herkunft solcher Annehmlichkeiten aus den Augen zu verlieren. Gott, der alle diese Dinge den Menschen gibt aber ihnen auch nehmen kann, wird nicht mehr als der Ursprung verstanden, sondern der Mensch sieht sich selbst als den Schöpfer seiner Verdienste. Allen Superbia-Gleichnissen im Alten Testament liegt diese Verschiebung zugrunde: weg von der Allmacht Gottes mit seiner überpersönlichen Ordnung und hin zu einem primär auf sich selbst bezogenen Individuum.

Der Fall oder Sturz der Hochmütigen (Spr 16,18; Sir 10,14; Jes 13,11; 16,6; 28,1-3; Ez 32,12; Dan 5,20; Obd 3) ist der unweigerliche Ausgang einer solchen falschen Selbsteinschätzung. Schon am Umfang gemessen macht er den wesentlichen Teil der Superbia-Lehre im Alten Testament aus. Mit dem Fall des Hochmütigen wird Gerechtigkeit geübt und wiederhergestellt. Seine Unausweichlichkeit macht die Allmacht Gottes für alle sichtbar. Der Fall des Hochmütigen ist darüber hinaus Startschuß für den strafenden Gott des Alten Testaments, mit aller Härte über die Sünder herzufallen und das göttliche Gesetz, oft unter schrecklichen Verwüstungen und Grausamkeiten, wieder einzusetzen. Kaum eine Gegend, die nicht diesen Zorn auf sich zieht: Ägypten, Babylonien, Judäa, Moab, Samarien.

Oft wird dem, der sich hoch über die anderen erhebt, seine wahre Stellung anhand eines Paradoxons dargelegt. Am klarsten wird es in Sprüche 29,23 formuliert: ,,Hochmut erniedrigt den Menschen,/ doch der Demütige kommt zu Ehren." Der Sturz des Hochmütigen vollzieht diese Bewegung nach und sortiert den Gefallenen an die Stelle der göttlichen Ordnung, wo ihn sein Stolz in Wahrheit längst hinmanövriert hat: ganz nach unten (26). Der Fall des Hochmütigen entspricht also diesem Hoch-Niedrig-Paradoxon (Jes 2,1 1-17; Dan 4,34) und hilft es zu veranschaulichen. lst aber der Fall noch eine durch Gott am Sünder - oft in aller Öffentlichkeit also als Exempel - vollzogene Strafe, so liefert das Hoch-Niedrig-Paradoxon einem Naturgesetz gleich dafür die Grundlage: auch wenn der Fall noch nicht, für alle sichtbar eingesetzt hat, der wahre Absturz vor Gott beginnt, sobald sich der Hochmütige selbst erhöht. Damit ist ein unumgehbarer Automatismus installiert, der das individuelle Streben, sich durch ein Mehr an Ansehen, Wohlstand oder anderes von der Allgemeinheit abzuheben, abermals zugunsten einer überpersönlichen Gottesordnung aushebelt.

ln den zitierten Sprüchen 29,23 wird Humilitas als die Gegenspielerin Superbias etabliert. Eng mit dem Hoch-Niedrig-Paradoxon verbunden ist diese Auffassung von dem Gegensatzpaar Superbia versus Humilitas, das sich im Alten Testament mehrmals findet (Jdt 6,15; Spr 11,2; Ps 17,28). Ein Kontrast, vor dem sich das Wesen der Superbia besonders eindrucksvoll abheben läßt, weswegen die mittelalterlichen Autoren Superbia immer wieder in Opposition zu Humilitas beschreiben (27). Geprägt ist die frühchristliche Humilitas-Auffassung von der alttestamentlichen Gehorsamsethik, die unter Humilitas (28) die Selbstaufgabe der eigenen Persönlichkeit in der engen Bindung an Gott versteht. Humilitas ist die zum Ordo gehörende und sich im Anschluß an Ordo-Vorstellungen entwickelnde Haltung. Humilitas als die zum Ordo gehörende Tugend ist grundsätzlich Einfügung in die Weltordnung, Aufgabe des Ich. In Opposition zur antiken Humilitas-Auffassung, die in der Spätzeit die Anerkennung der individuellen Grenzen und Gesetze meint, also die Beziehung auf das Ich bedeutet, bildet sich die Humilitas des Christentums zunächst zu einer hohen Stufe der Selbstaufgabe aus. Doch im Laufe des Mittelalters wird sie zum Gehorsam gegenüber Gott vereinfacht, ja sogar gegenüber der Autorität der Kirche, nachdem das Mönchstum die Humilitas in einer Haltung der Selbsterniedrigung und Askese versucht herbeizuführen und sie zur äußersten Selbstaufgabe im Gehorsam radikalisiert hat.

Das Neue Testament mit seiner starken Betonung und hohen Wertung Humilitas bringt ihrer Gegenspielerin, Superbia, nur geringes Interesse entgegen und räumt ihr nicht mehr als kurze Erwähnungen an seltenen Stellen ein. Anders als im Alten Testament spielt Superbia hier eine allenfalls untergeordnete Rolle. (29) Die Moralauffassung des frühen Christentums mit dem Paar Superbia - Humilitas als deren Exponent hat sich erst im Zusammenprall mit der Individualethik der hellenistischen Zeit ausgebildet, die schließlich in die von der Selbstbehauptung des lndividuums ausgehende Ethik der Stoa mündet. (30) Der Gegensatz von Superbia und Humilitas wird zum ethischen Zentralmotiv in der Auseinandersetzung des Christentums mit dem Heidentum. Es kommt zu einem ersten schweren Kampf der christlichen Morallehre gegen eine heidnische Superbia-Ethik (31), als dessen Ergebnis der mittelalterliche Superbia-Gedanke entsteht und als zentrales Motiv in die Schriften der Kirchenväter Eingang findet.

Insgesamt bleibt festzuhalten, daß das Christentum anders als das antike Heidentum viel Energie darauf verwandte, einen einheitlichen Wertekanon zu definieren und ihm mit Superbia an der Spitze des Schlechten eine entsprechende Opposition entgegenstellte. (32) Trotz ihrer Gegensätzlichkeit sind beide - das Gute wie das Schlechte - als konstituierende Elemente in der christlichen Weltordnung verankert und ohne sie nicht denkbar. In dem zentralistischen und geschlossenen christlichen Kosmos, der eine andere Macht als Gott nicht zuläßt, liegt die besondere Kohärenz der christlichen Ethik begründet. Superbia erfüllt in ihrer Rolle als Exponentin der Laster eine gewichtige Funktion in der christlichen Morallehre und wenn nur - wie etwa an einigen Stellen des Alten Testaments nachlesbar - als abschreckendes Exempel des absolut Bösen.

(Auszug aus Teil A. Wurzeln und Entwicklung des mittelalterlichen Superbia-Gedankens. I. Ursprung und Geschichte des Superbia-Gedankens, ebd. S. 7-10)

 

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