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Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte (ZRG). Jg. 95 Kanonistische Abteilung

Aus dem Inhalt dieses Bandes:

Dieser Band würdigt die Alt-Herausgeber der Kanonistischen Abteilung, Paul Mikat und Martin Heckel, mit allerbesten Wünschen zu ihren Geburtstagen, S. IX.

Aufsätze: Bayer, Hans, Godefridus cognomento alemannus. Die Kollegiatkirche Saint-Quiriace und der Grafenhof zu Provins im Spiegel fingierter Privilegien eines katharischen Kanzleinotars und Juristen, S. 166; Becker, Hans-Jürgen, Kardinal Giovanni Battista de Luca (1614–1683) und die Sacra Romana Rota, S. 314; Becker, Michael, Corpus Evangelicorum und Corpus Catholicorum. Die Wahrnehmung der korporativen Reichspolitik in juristischen Dissertationen der Frühen Neuzeit, S. 457; Buchholz, Stephan, Philipp der Großmütige von Hessen und Friedrich Wilhelm II. von Preußen: Fürstenehen, Doppelehen und Ehen zur linken Hand, S. 493; Cushing, Kathleen G., Looking Behind Recension Bb of the Collectio Canonum of Anselm of Lucca, S. 29; Dondorp, Harry, Einflüsse des kanonischen Rechts auf die Lehre des Erfüllungszwangs, S. 128; Genka, Tatushi, Hierarchie der Texte, Hierarchie der Autoritäten. Zur Hierarchie der Rechtsquellen bei Gratian, S. 101; Goering, Joseph, Bishops, Law, and Reform in Aragon, 1076–1126, and the Liber Tarraconensis, S. 1; Gschwend, Lukas und Christoph Good, Die spanische Conquista und die Idee der Menschenrechte im Werk des Bartolomé de Las Casas (1484–1566), S. 217; Neuheuser, Hanns Peter, Liturgierecht und Liturgiepastoral. Synodales Partikularrecht als Wegbereiter der Liturgiereform des Zweiten Vatikanums, S. 341; Schmoeckel, Mathias, Leges et in carmina redigendae sunt. Die Erfindung der Kodifikation als Konzept durch Melanchthon und deren Rezeption in katholischen Staaten bis 1811, S. 397; Schmugge, Ludwig, Dachser gegen Planck – Ein Eheprozess in Freising (1491–1493), S. 146; Stumpf, Christoph A., Die Verfassung des Staates als Verfassung der Kirche. Richard Hooker und Hugo Grotius als Vorläufer des deutschen Territorialismus, S. 437; Taliadoros, Jason, Synthesizing the Legal and Theological Thought of Master Vacarius, S. 48; Theisen, Karl Heinrich, Die Offiziale im alten Erzbistum Trier an der Kurie in Trier und Koblenz (1195–1802), S. 257; Wei, John, Penitential Theology in Gratian´s Decretum: Critique and Criticism of the Treatise Baptizato homine, S. 78

Eine Neuerung aller Bände ist, dass alle Aufsätzen und Miszellen mit einer deutschen und einer englischen Zusammenfassung (Summary) eingeleitet werden.

Miszellen: Gatz, Erwin, Deutschlands Bischöfe seit 1945 – Eine Bilanz, S. 544; Kunze, Rolf-Ulrich, Die Quellenedition zur Geschichte der Evangelischen Landeskirche Badens in der NS-Zeit vor dem Hintergrund des zeit- und kirchengeschichtlichen Forschungsstandes, S. 576; Müller, Hartwin, Volkspolizei und Bibelrüstzeiten – die Veranstaltungsverordnungen der Deutschen Demokratischen Republik in der Praxis der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen, S. 582; Schwarz, Karl W., Zur Rechtsgeschichte des österreichischen Protestantismus, S. 554; Thumfart, Johannes, Ius gentium und Universalmonarchie in Amerika bei Francisco de Vitoria, Miguel de Ulzurrun, Hernán Cortés und Bartolomé de las Casas, S. 532

Der Literaturteil umfasst S. 610–714.

In memoriam Rudolf Reinhardt (1928–2007). Von Dominik Burkard, S. 715

Chronik: 13th International Congress of Medieval Canon Law. Von Stephan Dusil/Kerstin Hitzbleck, S. 722; Tagungsbericht zum 37. Deutschen Rechtshistorikertag in Passau, 7.–11.9.2008, Sektion zur kirchlichen Rechtsgeschichte. Von Susanne Lepsius, S. 730

Aufsätze

Die spanische Conquista und die Idee der Menschenrechte im Werk des Bartolomé de Las Casas (1485-1566)

Von Lukas Gschwend und Christoph Good

Im Blick auf die Geschichte der Menschenrechte ist die europäische Forschergemeinschaft bislang ausgerichtet auf die englisch-französische Entwicklungslinie, die mit der Magna Charta Libertatum (1215), mit dem Habeas-Corpus-Act (1679) und der Declaration of Rights (1689) fortschreitet und schließlich ihren historischen Höhepunkt findet mit der Bill of Rights of Virginia, der amerikanischen Declaration of Independence (beide 1776) sowie der Déclaration des droits de l'homme et du citoyen (1789). Der vorliegende Artikel zielt dagegen darauf ab, einen kaum untersuchten Beitrag zur Geschichte der Idee der Menschenrechte zu untersuchen: den Einfluss der spanischen Spätscholastik des 15. und 16. Jahrhunderts mit ihrem geistigen Zentrum in der Rechtsschule von Salamanca. Der Schwerpunkt liegt dabei bei Leben und Werk des Bartolomé de Las Casas (1484-1566) und seines konkreten Eintretens für Gleichheit und Freiheit der neuentdeckten Eingeborenen in Lateinamerika, das sich auf anthropologische, naturrechtliche und römischrechtliche Begründungsansätze stützte. Dabei ging Las Casas über die Ebene des lediglich ethischen Protests gegen die Conquista hinaus und verlangte spezifische Menschenrechte wie die Gleichheit und Freiheit der Menschen, Religionsfreiheit und das Recht auf Selbstbestimmung, die er aus einer modifizierten christlich-aristotelischen Naturrechtslehre entwickelte.

In view of the history of human rights and liberties the European research community is still focused on the anglo-french development line, starting with the Magna Charta Libertatum (1215), proceeding with the Habeas-Corpus-Act (1697) and the Declaration of Rights (1689) and finding its historical climax with the Bill of Rights of Virginia, the American Declaration of Independence (both 1776) and the Déclaration des droits de l'homme et du citoyen (1789). The aim of this article is to present a scarcely researched contribution to the history of the idea of human rights: the influence of the 15th and 16th century Spanish late scholasticism with its spiritual center at the law school of Salamanca. The main interest is on the life and work of Bartolomé de Las Casas (1484-1566) and his practical  pleadings for equality and freedom of the newly discovered indigenous peoples in Latin-America, based on anthropological, natural and roman law arguments. Thereby Las Casas leaves the level of pure ethical protest against the Conquista behind and devises ascertained human rights as equality and freedom of men, religious freedom and the right of political self-determination, derived from a modified Christian and Aristotelian natural law theory.

1. Einleitung

Der Begriff der Menschenrechte wird gemeinhin als Inbegriff der Rechte verstanden, die dem Mensch kraft seines Menschseins allein, unbedingt und ohne Rücksicht auf besondere Eigenschaften sowie unabhängig von einer verfassungsmäßigen oder international-konventionellen Gewährleistung von Natur aus zustehen 1). Die neuzeitliche Staats- und Verfassungslehre hat aus dieser Kernidee verschiedene, seit dem 19. Jh. zunehmend konstitutionell verankerte und gerichtlich durchsetzbare Grundrechte abgeleitet, welche die Existenz und freie Entfaltung des Menschen als Individuum und Bürger sichern sollen. Den internationalen Schutz der Menschenrechte verbriefen heute insbesondere die von der Generalversammlung der UNO 1948 verkündete "Allgemeine Erklärung der Menschenrechte" sowie die dieses Programm konkretisierenden Internationalen Pakte über die "wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte" (sog. UNO-Pakt-I) sowie über die "bürgerlichen und politischen Rechte" (sog. UNO-Pakt-II) von 1966. Neben diesen internationalen Vereinbarungen erfolgte ebenfalls auf supranationaler Ebene eine Konkretisierung der UNO-Menschenrechtserklärung. So verabschiedeten beispielsweise die Mitgliedstaaten des Europarates bereits 1950 die "Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten" (EMRK), welche-regional beschränkt auf die Gebiete der Mitgliedstaaten - ihre Geltung entfaltet 2).

Im deutschen, englischen und französischen Wissenschaftsraum folgen die meisten staatsphilosophischen und verfassungshistorischen Standardwerke in ihren Darstellungen der grundrechtshistorischen Quellen dem angloamerikanisch-französischen Entwicklungsstrang, beginnend beim mittelalterlichen Freiheitsbrief der "Magna Charta Libertatum" von 1215 des englischen Königs "Johann ohne Land", übergehend zur "Habeas-Corpus-Akte" von 1679, der eine Dekade später die "Declaration of Rights" folgte. Als weitere Hauptstationen der Grundrechtsgenese werden die "Bill of Rights of Virginia" von 1776 und die von Thomas Jefferson ausgearbeitete amerikanische Unabhängigkeitserklärung aus demselben Jahr sowie die darauf folgenden Verfassungsamendments von 1791 behandelt 3). Die Menschenrechtsgeschichte ist sodann maßgeblich geprägt durch die "Déclaration des droits de l'homme et du citoyen" aus dem Jahr 1789 4).

Als wichtiger Vordenker der Menschenrechtsidee wird meistens John Locke hervorgehoben, der in seinem Hauptwerk "Two Treatises of Government" von 1690 kurz nach der Glorious Revolution aus seiner Theorie des Gesellschaftsvertrages ableitete, allen Menschen stünden ursprüngliche und unveräußerliche Freiheiten zu 5). Für die französische Entwicklung nennt die gängige Literatur  v. a. Montesquieu und Rousseau sowie andere Vordenker der Revolution 6). Für den Deutschen Sprachraum werden insbesondere die Naturrechtslehren von Grotius, Pufendorf, Thomasius und Wolff behandelt 7).

Die vorliegende Untersuchung fokussiert eine andere, der freiheitlichen Idee des rationalen Naturrechts vorangehende Entwicklungslinie der Menschenrechtsidee, die von der deutschsprachigen Staatslehre und Verfassungsgeschichte noch immer kaum beachtet wird, nämlich jene der gegen Ende des 15. Jh. insbesondere an der Rechtsschule von Salamanca aufblühenden spanischen Spätscholastik. Das besondere Interesse gilt dabei Bartolomé de Las Casas und seiner Idee der Menschenrechte.

(...)

(Auszug aus Gschwend, Lukas und Christoph Good: Die spanische Conquista und die Idee der Menschenrechte im Werk des Bartolomé de Las Casas (1484-1566), ebd., S. 217-220)

 


1) Vgl. G e r h a r d  O e s t r e i c h, Die Idee der Menschenrechte in ihrer geschichtlichen Entwicklung (= Zur Politik und Zeitgeschichte, Heft 11), 2. A., Berlin 1966, 9. Ebenso K a r l  P e t e r  F r i t z s c h e, Menschenrechte, Paderborn 2004, 15 ff.

2) Zur Entstehungsgeschichte der EMRK vgl. J o c h e n  A b r. F r o w e i n / W o l f g a n g  P e u k e r t, Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK - Kommentar), 2. A., Kehl 1996, 1 ff. Betreffend Einordnung der EMRK in die Völkerrechtsgeschichte vgl. V l a d i m i r  B u t k e v y c h, The European Convention on Human Rights in the Context of the History of International Law, in: L u c i u s  C a f l i s c h et al.  (Eds.), Human Rights - Strasbourg Views: Liber Amicorum Luzius Wildhaber, Kehl a. Rhein 2007, 41-64, 50 ff.

3) Vgl. W e r n e r  F r o t s c h e r / B o d o  P i e r o t h, Verfassungsgeschichte, 6. A., München 2007, § 2 Rz. 22ff. Ebenso W a l t e r  H a l l e r / A l f r e d  K ö l z, Allgemeines Staatsrecht, 3. A., Basel 2004, 307 ff.

4) Zur Herausbildung von Grundrechten im Zusammenhang mit dem bürgerlichen Verfassungsstaat der Moderne und unter besonderer Berücksichtigung der amerikanischen und französischen Revolution vgl. B o d o  P i e r o t h / B e r n h a r d  S c h l i n k, Grundrechte - Staatsrecht II (= Schwerpunkte, 14/1), 21. A., Heidelberg 2005, § 2 Rz. 19ff. Ebenso D i e t m a r  W i l l o w e i t / U l r i k e  S e i f, Europäische Verfassungsgeschichte (= Rechtshistorische Texte), München 2003, 215 ff. Ferner M a n f r e d  K r i e l e, Zur Gschichte der Grund- und Menschenrechte, in: N o r b e r t  A c h t e r b e r g (Hg.), Öffentliches Recht und Politik - FS für Hans Ulrich Scupin, Berlin 1974, 187-211, 195 f.; F r i t z  H a r t u n g / G e r h a r d  C o m m i c h a u / R a l f  M u r p h y, Die Entwicklung der Menschen- und Bürgerrechte von 1776 bis zur Gegenwart (= Quellensammlung zur Kulturgeschichte, 1), 6. A., Göttingen 1997, 15 ff. Anderer Meinung: D i e t m a r  W i l l o w e i t, Deutsche Verfassungsgeschichte - Vom Frankenreich bis zur Wiedervereinigung Deutschlands, 5. A., München 2005, § 25, II, 4. Willoweit geht dabei von einer realgeschichtlichen Entwicklungslinie aus, die von den Rechtsgewährungen in spätmittelalterlichen Herrschaftsverträgen über die grundsätzliche Unantastbarkeit wohlerworbener Rechte auch in absolutistischer Zeit zu den Rechtsschutzmechanismen des 18. Jh. führt. Ähnlich sieht auch Peter Blickle den Ausgangspunkt der Menschenrechtsentwicklung in der Abkehr von der Leibeigenschaft, Vgl. P e t e r  B l i c k l e, Von der Leibeigenschaft zu den Menschenrechten - Eine Geschichte der Freiheit in Deutschland, München 2003, 15 ff.

5) Vgl. J o h n  L o c k e, Zwei Abhandlungen über die Regierung, hrsg. und eingeleitet von W a l t e r  E u c h n e r, Frankfurt a.M. 1977, II, § 123.

6) So etwa H a s s o  H o f m a n n, Die Entdeckung der Menschenrechte - Zum 50. Jahrestag der Allgemeinen Menschenrechtserklärung vom 10. Dezember 1948 (= Schriftenreihe der Juristischen Gesellschaft zu Berlin, 161), Berlin 1999, 9f. Ebenso G e r h a r d  O e s t r e i c h, Geschichte der Menschenrechte und Grundfreiheiten im Umriss (= Historische Forschungen, 1), 2.A., Berlin 1978, 64f.; F e l i x  E r m a c o r a, Menschenrechte und Grundfreiheiten (= Veröffentlichungen der Kommission für das Studium der Menschenrechte, 1), Wien 1974, 99. Gegen Rousseau als spiritus rector der französischen Erklärung der Menschenrechte vgl. G e o r g  J e l l i n e k, Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte (Abdruck der 4. A. Leipzig 1929), in: R o m a n  S c h n u r (Hg.), Zur Geschichte der Erklärung der Menschenrechte (= Wege der Forschung, XI), Darmstadt 1964, 1-77, 5ff.

7) Vgl. A n d r e a s  H a r a t s c h, Die Geschichte der Menschenrechte (= Studien zu Grund- und Menschenrechten, 7), 2. A., Potsdam 2002, 27ff. Ebenso  O e s t r e i c h (wie Fn. 6), 47 ff. Mit Schwerpunkt auf Wolff vgl. H a n s H a t t e n h a u e r, Europäische Rechtsgeschichte, 4. A., Heidelberg 2004, Rz. 1485 ff. Zu Thomasius vgl. K l a u s  L u i g, Christian Thomasius, in: M i c h a e l  S t o l l e i s (Hg.), Staatsdenker in der frühen Neuzeit, 3. A., München 1995, 227-256; ferner K l a u s  S t e r n, Idee der Menschenrechte und Positivität der Grundrechte, in: J o s e f  I s e n s e e / P a u l  K i r c h h o f, Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland (HStR), Bd, 5: Allgemeine Grundrechtslehren, Heidelberg 1992, § 108, Rz.10.

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