Für die beiden vorchristlichen
Jahrtausende sind beide Überlieferungsstränge wenig ergiebig.
Ist es im mediterranen Raum im 5. Jh. v. Chr. vor allem der
„Vater der Geschichtsschreibung“; nämlich Herodot, der aus dem
ihm zu seiner Zeit zur Verfügung stehenden schriftlichen
Material seine „Historien" zusammenstellte, so ist es im Osten,
in China, erst die Han-Dynastie seit dem 3. vorchristlichen
Jahrhundert, die auch Nachrichten darüber liefert, was sich
ganz im Westen des chinesischen Einflussbereiches und darüber
hinaus nach Westen ereignet hat. Wesentlich bereichert werden
die klassisch-antiken Kenntnisse zum zentralasiatischen Raum
erst mit und nach Alexander dem Großen, seit dem 4.
Jh. v Chr., der sein Reich bis an den Indus ausweitete,
ja im Norden bis in den westturkistanisch-ostpersischen
Kulturraum vorstieß. Die Eroberungen Alexanders des Großen und
der sich daraus ergebende intensive kulturelle Austausch
zwischen Griechen, Makedonen und Orientalen sollte über
Jahrhunderte hinweg Asien zutiefst kulturgeschichtlich
verändern. Trotz der gewaltigen Ausdehnung des Alexanderreiches
bis fast an das Tarim-Becken abschließende Karakorum-Gebirge
ist es offensichtlich nicht zu einer Erwähnung desselben in den
chinesischen Quellen gekommen. Mit großer Wahrscheinlichkeit
ist das Fehlen von Kenntnissen in China zur Machtausdehnung
Griechenlands bis an den Rand der chinesischen Ökumene vor
allem dadurch zu erklären, dass China vor der Reichseinigung
im 3. Jh. v. Chr. unter dem ersten Kaiser Qin Shi Huangdi
ein Konglomerat von Kleinstaaten und
Fürstentümern gewesen ist, welches sich kaum für die Peripherie
interessierte, wenn von dort keine akute Bedrohung ausging.
Erst die Reichseinigung unter der kurzlebigen Qin-Dynastie
sowie der nachfolgenden, massiv erstarkenden Han-Dynastie und
die daraus erwachsende Konsolidierung Chinas führten zum
Interesse Chinas an dem, was sich im Westen abspielte. Die
Gründe für dieses Interesse lagen wiederum in außenpolitisch
auf China einwirkendem Druck, waren doch nördlich und
nordwestlich von China wohnende
Reiternomaden, die Xiongnu, zu einer beständigen Bedrohung des
neuen Einheitsstaates geworden. Nicht umsonst hatte schon QIN
SHI HUNAGDI mit ersten größeren Ausbaumaßnahmen von Mauer- und
Wallsystemen aus Stampflehm und Holz versucht, das Reich gegen
diese Reiternomaden zu sichern. Die Kampfesweise der berittenen
Xiongnu mit ihrer gefürchteten Waffe, dem Reflexbogen, die man
durch Tribute und Verträge ruhig zu stellen versuchte, führte
unter dem Han-Kaiser WU im
2. Jh. v. Chr, zu der Erkenntnis, dass nur
eine den Xiongnu ähnlich ausgestattete und operierende
Kavallerie Abhilfe von der Bedrohung schaffen könne. Als
Grundlage hierfür entsandte Wu im Jahre 139 v Chr. seinen
damals erst 25 Jahre alten Gesandten
ZHANG Qian nach Westen. Er erreichte auf dieser
Expeditionsreise das Gebiet des oberen Amudarya in
Westturkistan, konnte aber, da er mehrfach von den Xiongnu
festgehalten wurde, erst 126 v. Chr. in
die Hauptstadt Changán (das heutige Xi'an) zurückkehren.
Das angestrebte Bündnis mit anderen Nomaden im Westen, gegen
die Xiongnu gerichtet, sowie der Erwerb der berühmten
„blutschwitzenden Pferde" dieser Reiternomaden aus dem
Ferghana-Becken, die man zum Aufbau eigener Militärgestüte
gebraucht hätte, schlug zwar fehl, verschaffte den Chinesen
aber erste eingehende Kenntnisse jener Gebiete, die westlich
Chinas lagen. So gelangte auch erstmals Wissen über die Persien
beherrschenden Parther und die Völker der westlich des
Tarim-Beckens siedelnden Ethnien nach China, aber ebenfalls,
wenn auch noch sehr verschwommen, über das Römische Reich.
Grundsätzlich bieten seit der Han-Dynastie die am Hofe
ausgefertigten Jahresberichte oder Annalen vielfältige
Zeugnisse zu Völkern, Etlinien und Lebensgewohnheiten
westlicher Nicht-Chinesen.
Die unter Kaiser Wu begonnenen
Militärexpeditionen in Richtung Westen, also in Richtung
Tarim-Becken, dienten dem Erwerb von Kavalleriepferden für den
Ausbau eigener berittener Einheiten, weshalb in jener frühen
Phase statt des Begriffes Seidenstraße eher jener einer
„Pferdestraße" gerechtfertigt erscheint. Aber spätestens zur
frühen römischen Kaiserzeit tragen diese Handelsstraßen, die in
der chinesischen Hauptstadt Chang'an begannen und bis
Antiochia in Syrien reichten, ihren Namen zu Recht, berichten
doch schon die römischen Quellen von einem angeblich
übertriebenen Luxus mit Seidenstoffen bei den Damen der
römischen Aristokratie. Zu dieser Zeit war die Art und Weise
der Seidenproduktion für den römisch-griechischen Westen noch
ein ungelöstes Geheimnis, welches erst einige Jahrhunderte
später, außerhalb unseres Betrachtungsrahmens liegend, durch
Wirtschaftsspionage gelöst werden sollte.
Das große Problem der antiken westlichen Quellen ist
ihr geografisch weiter Abstand zu den ehemals vorhandenen
Völkern; vieles kannte man nur vom Hörensagen oder über
mehrfach auch sprachlich veränderte Vermittlung von
Fernhändlern. Völkernamen sind daher nur bedingt auf kleinere
und größere Gebiete einzugrenzen. Nicht viel anders verhält es
sich mit den frühen chinesischen Quellen, zumal diese heute
zwar noch über die gleichen oder zumindest ähnliche
Schriftzeichen gelesen werden, ihre Lautung aber über die
letzten zwei Jahrtausende hinweg eine heute nur teilweise
nachvollziehbare Veränderung erfahren hat.
(ibid., S. 51-53)