Völker, Gruppen, Horden und die Schwierigkeit ihrer Bestimmung in historischer Zeit
von ULF JÄGER
Globalisierung hat mittlerweile nicht nur als Begriff
einen festen Platz in allen Sparten der historischen
Wissenschaften gefunden; zunehmend wächst auch das
Forschungsinteresse an ähnlich gearteten geschichtlichen
Phänomenen. Intensiver kultureller Austausch wird auch als ein
"Globalisierungsphänomen" wahrgenommen und soll für den Bereich
der "Seidenstraßen" als Indiz für Bevölkerungsfluktuation,
Handel oder Siedlung untersucht werden.
Das Tarim-Becken im 20. und 21. Jahrhundert
Das Tarim-Becken in der heutigen Autonomen
Region Xinjiang-Uigur der Volksrepublik China ist weitgehend
ein von der Wüste Taklamakan geprägter arider Bereich. Im
deutschsprachigen Raum nannte man dieses Gebiet zur Zeit des
großen Wettlaufes um die dortigen archäologischen
Hinterlassenschaften, also etwa seit Beginn des
20.Jh.„,Ostturkistan": Hierin spiegelte sich die Tatsache, dass
die Bevölkerungsmehrheit aus so genannten „Osttürken“ bestand.
Darunter versteht man die eine osttürkische Sprache
sprechenden Uiguren, die etwa seit dem 7. Jh. n.
Chr. Diesen Raum dominieren. Neben den Uiguren
siedeln in Xinjiang noch andere Völkerschaften, wie Kasachen,
Mongolen, Salaren, Kirgisen, Dunganen, Tadschiken, Tibeter und
natürlich, seit langer Zeit, Chinesen; daneben aber auch noch
etliche andere, kleinere Minderheiten. Weder sprachlich noch
aufgrund ihrer Lebensweise, sei es als Nomaden, Halbnomaden,
als Bauern oder Kaufleute bilden diese Völker eine Einheit.
Viele dieser Völkerschaften finden sich, dort dann sogar häufig
als zahlenmäßig dominante Bevölkerungsgruppen, auch in den
benachbarten Nachfolgestaaten der ehemaligen
zentralasiatischen Republiken der Sowjetunion, in Afghanistan,
Pakistan und in Nordindien. Durch die neueren politischen
Prozesse des 20. Jh. bedingt, angefangen mit der Gründung der
Volksrepublik China im Jahre 1949 über die Umwälzungen in den
ehemaligen südlichen Republiken der UdSSR in den späten 90er
Jahren des 20. Jh, bis hin zu den seit fast 30
Jahren schwelenden Konflikten in und um Afghanistan, ist
die ethnische, sprachliche und soziale Situation dieser
Völker, Stämme und Ethnien nicht überschaubarer geworden.
Dieses Phänomen ist nicht auf die jüngere Geschichte
beschränkt.
Neue Entdeckungen im Tarim-Becken - Fragen zur ethnischen Zugehörigkeit
Zentralasien und damit auch das
Tarim-Becken Xinjiangs sind seit Jahrtausenden ein
Schmelztiegel und Durchzugsgebiet von Völkern, Ethnien,
Sprachen, Dialekten, Religionen und Kunststilen
gewesen.
Als gesichert kann gelten, dass
schon in der Altsteinzeit, dem Paläolithikum, Menschen in das
Tarim-Gebiet kamen und dort ansässig wurden. Aus dem
vorhandenen Schädel- bzw. Skelettmaterial ist erkennbar, dass
seit der Bronzezeit des 2. Jt. v Chr. sowohl
europide bzw. kaukasoide wie auch mongolide Menschen greifbar
werden. Dies setzt sich bis in die Eisenzeit fort.
Schon der unter dem schwedischen Forschungsreisenden Sven
Hedin arbeitende schwedische Archäologe Folke Bergman hatte im
südöstlichen Tarim-Becken, in der Nähe des Lop Nur,
bootsförmige Holzsärge ausgegraben, die europide Trockenmumien
enthielten. Dieses verwunderte die damalige Forschung
nicht weiter, hatten doch die preußischen Turfan-Expeditionen
an der Nordroute der Seidenstraße auf Wandmalereien
Darstellungen hoch gewachsener, blonder und rothaariger,
buddhistischer Stifter entdeckt. Da zudem an diesen Fundorten
Handschriften in Brahmi, in der tocharischen, indogermanischen
Sprache gefunden worden waren, nahm man an, diese Bevölkerung
sei in einer nicht genau zu datierenden Frühphase „von Westen"
her eingewandert. Die nun vermehrt seit den 8oer und 9oer
Jahren des 20. Jh. im Tarim-Becken ausgegrabenen, von der
Physiognomie her europid wirkenden Trockenmumien, haben diese
Diskussionen erneut entfacht.
(ibid., S.
49-50)