Grab des 3.-4. Jh. n. Chr. aus Yingpan im Lop-Nur-Gebiet
Für den heutigen Betrachter fällt besonders eine Gesichtsmaske auf, deren Auflage aus einem natürlichen Fasermaterial - wohl aus Hanf - gefertigt ist. Diese Auflage ist in feuchtem Zustand über einem hölzernen Model erstellt, getrocknet und anschließend bemalt worden. Die geschlossenen Augen werden ebenso wie die etwas dicker gezeichneten Augenbrauen durch schwarze Farbe dargestellt. Unter der relativ groß und breit gestalteten Nase der Maske wird durch schwarze Farbe ein Schnurrbart dargestellt, die Lippen sind rötlich getönt wiedergegeben. Die Maske ist, um die Gesichtsfarbe wiederzugeben, weiß grundiert. Die Stirn der Maske des Mannes bedeckt eine Goldfolie. Er trug Filzstiefel, die wiederum mit dreieckigen und quadratischen Mustern in Blattgold verziert waren. Die feinen Hosen aus Wolle sind von violetter Farbe und mit rhomboiden und floralen Mustern verziert. Das ebenfalls aus Wolle bestehende Obergewand bzw. der Kaftan oder der knielange Mantel hat ein Muster aus nackten, sich mit einem Kurzschwert bekämpfenden Eroten sowie Ziegen und Ochsen, die um Granatapfelbäume herum angeordnet sind. Derartige Eroten sind in der buddhistischen Kunst der Gandhara-Schule des heutigen Nordwest-Pakistan und des angrenzenden Afghanistan, vor allem in der fast zeitgleichen Schieferkunst, keine Seltenheit, sie weisen auf westlich-hellenistischen Einfluss hin.
Die Frage ist nun, wer dieser Mann aus Yingpan war. Aufgrund der großen Ähnlichkeiten der Bekleidung des Mannes aus Yingpan mit Darstellungen von Sogdern auf sogdischen Wandmalereien, z. B. in Pendschikent, Alt-Samarkand und Varahsha, liegt es nahe, in ihm einen wohlhabenden Sogder zu sehen.
Sogdische Händler, die aus dem westlichen Mittelasien, dem heutigen Tadschikistan und Usbekistan stammten, waren schon sehr früh im Tarim-Becken anzutreffen. Mittlerweile wird deren Anwesenheit an den Seidenstraßen aber nicht nur durch die lange bekannten, so genannten „alten sogdischen Briefe“ aus der Nähe von Dunhuang beleuchtet. Unser Wissen um Sogder in China wird in den letzten Jahren auch durch die Bearbeitung sogdischer Grabanlagen mit reich geschmückten, steinernen Grabeinbauten, die bis hin nach Nord- und Zentralchina entdeckt worden sind, erweitert. Es ergibt sich nun, sowohl was die Ähnlichkeit mit Darstellungen von Sogdern in Sogdien selbst, als auch mit den Grabanlagen sogdischer Diplomaten und Händler in China anbelangt, ein Datierungsproblem. Grob gesprochen sind die sogdischen Wandmalereien im westlichen Mittelasien und die sogdischen Gräber in China kaum vor dem 5.-7. Jh. n, Chr. zu datieren. Das Grab des Yingpan-Mannes ist aber deutlich älter.
Trotz einer gewissen Offenheit gegenüber dem Buddhismus, dem Manichäismus und dem nestorianischen Christentum sind die Sogder wohl in hohem Maße Anhänger einer ostiranischen Variante des Zoroastrismus gewesen. Da im Zoroastrismus die Toten aber nicht verbrannt oder körperbestattet werden, um die geheiligten Elemente der Luft und des Bodens nicht zu beschmutzen, wurden im sogdischen Kernland die Toten vornehmlich den Geiern und wilden Hunden zum Fraß vorgesetzt. Die zurückbleibenden Knochen wurden eingesammelt und in so genannten Ossuarien, relativ kleinen Knochenkisten aus Keramik und Stein, beigesetzt. Dies geschah ohne Beigaben. Die nun in China später vorkommenden sogdischen Körpergräber weisen schon auf einen erheblichen Einfluss der Han-chinesischen Kultur hin.
Natürlich ist es bestechend, direkte Vergleiche zwischen der Hosen-, Kaftan- und Stiefelausstattung von Dargestellten auf sogdischen Wandmalereien mit unserem Mann aus Yingpan aufzuzeigen. Wir können aber nicht wirklich sagen, ob sich schon etwa drei Jahrhunderte vorher, also vor dem 6. bis 7. Jh. n. Chr. und spätestens im frühen 4. Jh. n. Chr., ausschließlich reiche Sogder so kleideten. Vielmehr kann der Mann auch aus jedem anderen Oasenstaat Zentralasiens, nicht nur des Tarim-Beckens, stammen und seine Kleidung auf jedem größeren Basar erstanden haben. Auch die mit hellenistischen Motiven verzierte Kleidung weist nicht bedingt darauf hin, dass der Mann z. B. aus Baktrien, dem heutigen Afghanistan, stammte. Vielmehr kann damit rechnet werden, dass im Tarim-Becken schon früh hellenistisch wirkende Textilien lokal und nach ihrem westlichen Vorbild produziert wurden.
Anhand der Besprechung der kleinen Bronzestatuette aus dem Ili-Gebiet sowie des Yingpan-Mannes aus dem Südosten Xinjiangs konnte gezeigt werden, wie kompliziert eindeutige Zuweisungen an Ethnien oder Gruppen sind.
(ibid., S. 56-58)