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Rezension - Teil IV

Das Konzept " Multipler Modernen" ...

Amritas Werke wurden in Europa bisher erst dreimal vorgestellt und  waren nur einem engen Kreis von Eingeweihten zugänglich: 1982 von Howard Hodgkin in der Tate Britain im Rahmen der Ausstellung "Six Indian Painters", 1985 beim Festival of India in der Ausstellung "Indian Artists in France" in Paris sowie 2001 im Ernst Musem in Budapest unter dem Kuratorium von Katalin Keseru. (S.10)

Die bemerkenswerte Ausstellung im Münchner Haus der Kunst  "Amrita Sher-Gil. Eine indische Künstlerfamilie im 20. Jahrhundert"  und der vorliegende Begleitband zur gleichnamigen Ausstellung mit einem Essay des in Bangalore geborenen und in Paris lebenden Kunsthistorikers Deepak Ananth ermöglichen nun einen einzigartigen und bisher kaum erahnten Zugang zur indischen bildnerischen Moderne und zeitgenössischen indischen Kunst, wie es ihn im Westen bisher kaum gab.

Two Elephants, c. 1940, Copyright National Gallery of Modern Art New Delhi - Courtesy Schirmer / Mosel
Two Elephants, c. 1940, Copyright National Gallery of Modern Art New Delhi - Courtesy Schirmer / Mosel

Bei der  Auseinandersetzung mit ihrem Leben und Werk, ihrer rätselhaften Persönlichkeit indo-europäischer Herkunft - sie ist eine Grenzgängerin, Kosmopolitin, auch Vorreiterin für Feminismus und freie Sexualität, geht es im wesentlichen auch um die "Ungleichzeitigkeit der Entwicklung von Modernität und Modernismus in Europa und Indien bzw. um das "Konzept multipler Modernen". (S.9) 

Ein guter Freund Amritas, der Archäologe, Kunstkritiker und Leiter des Lahore Museums Charles Fabri, schrieb viele Jahre nach ihrem Tod:

"Amrita war zur Hälfte europäisch, zur Hälfte indisch, die geborene Vermittlerin zwischen indischer und westlicher Kunst. Man mag sich daran gewöhnt haben, sie als "rein indische" Künstlerin zu reklamieren. In Wahrheit aber verkörperte sie eine einzigartige Verbindung von beidem: Aufgewachsen mit der Disziplin europäischer Malerei, war ihr Fühlen und Denken durchtränkt von indischer Emotionalität und Sensibilität".(S.9)

Der indische Kunsthistoriker Deepak Ananth vermittelt uns sehr pointiert seine ganz persönliche Sicht auf ihre selbst gewählte künstlerische Identität, eine von ihm als  "proto-modern"  bezeichnete Position, entstanden unter dem Einfluß europäisch akademischer Bildung und einer tiefgreifenden ästhetischen und moralischen Prägung durch die Berührung mit der klassischen Kunst und dem Bewusststein um die soziale Realität Indiens.

Deepak Ananth lässt uns erkennen, dass Amritas künstlerisches Dasein und Ihre Entscheidungen mit Ihrer Persönlichkeit, Ihrem Selbstbewußtsein und Ihrer Selbsterkenntnis untrennbar einhergehen. Bis heute wird immer wieder von neuem hinterfragt, welche Kunstrichtung Amrita Sher-Gil wohl wirklich ansprach oder ihr als Inspiration diente. Sie selbst benennt in ihren Korrespondenzen und Artikeln, die sie später in Indien verfasste, kaum Künstler, die sie bewegten oder gegen die sie eindeutige Aversionen hegte. Auch ihre Zurückhaltung, Namen zu benennen, entsprach  nach Ananths Ansicht auch ihrer eher individualistischen Einstellung. (S.15)

Bemerkenswert erscheinen insbesondere ihre starke Persönlichkeit, auch Unabhängigkeit sowie ihre äußerst selbstbewußte Haltung gegenüber Einflüssen der Kunstszene.

"Obwohl ich studiert habe, wurde mir das Malen nie im eigentlichen Wortsinn beigebracht , denn zu meiner psychologischen Veranlagung gehört die Eigenheit, jede Einmischung von außen abzulehnen. In allem, was ich tat, wollte ich immer alles selbst  herausfinden" bekannte sie in ihrem Artikel  "Evolution of My Art"  von 1936.

Ihr unbändiger Emanzipationsdrang  - in ihrem kurzen Leben versuchte Amrita, "alles auf einmal zu überwinden: die Entfremdungen auf Grund ihrer Klassenzugehörigkeit, ihrer indo-europäischen Herkunft und ihres Geschlechts" -  beeinflußten ihr gesamtes künsterlisches Schaffen, getragen von einer stilistischen Entwicklung, die in ihrer frühen Zeit noch vorwiegend romantisch inspiriert war, letztlich jedoch stark beeinflußt wurde von ihrer Suche nach der wahren Realität Indiens. Amrita entwickelt ihre eigene Metaphorik und Ausdruckskraft im Umgang mit dem indischen Alltag, dem Leben, den Sehnsüchten und dem Selbstverständnis indischer Frauen.