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Exkurs: Die Nennung biblischer Vorbilder in den Eulogien

Nicht selten werden in den Eulogien jüdischer Grabschriften die Verstorbenen mit biblischen Gestalten verglichen, die als Vorbilder dienen. Es lohnt sich, dieses Phänomen am Beispiel Georgensgmünds genauer zu betrachten. Auf die Verwendung biblischer Zitate in den Inschriften, auf ihr Menschenbild und auf die bis ins 20. Jh. aufrechterhaltene Geschlechterdifferen­zierung fällt dadurch ein besonderes Licht.

Wenn z. B. von einer Rösle gesagt wird, dass sie „bei ihren Geboten sorgfältig wie Hanna und Sara war", von einer Gitl, dass „sie Mildtätigkeit wie Abigail übte, keusch war wie De­bora", (vgl. Nrn. 484 (1697), 83 (1726)) so werden diese Verstorbenen mit Frauengestalten der Schrift verglichen, ohne dass ein Namensbezug zwischen ihnen und jenen besteht. Dieser war beim Vorherrschen der jüdischdeutschen, nicht-hebräischen Vornamen bei den Frau­en in sehr vielen Fällen gar nicht herzustellen. Das bei Frau­en vorwiegende Verfahren ist also ein solcher einfacher Ver­gleich. Frauen mit biblischen, hebräischen Vornamen werden jedoch von Fall zu Fall zum gleichnamigen biblischen Vorbild in Beziehung gesetzt. In insgesamt 71 Inschriften werden 10  verschiedene weibliche biblische Vorbilder genannt, dabei fin­den sich nur in 14 Texten Zitate, insgesamt 13 (vgl. Nr. 1474 (1895)), wobei in 9 von ihnen ein direkter Namensbezug zwischen Verstorbener und Vorbild gegeben ist. Bei den 57 Texten ohne Zitat ist die­ser Bezug nur in 7 Fällen gegeben, während er in 50 Fällen fehlt.

Stein Nr. 1474: Hannle Tochter des Josua Bechhöfer aus Schwabach, zuerst verheiratet mit Sacharja Reitlinger in Wallerstein und Altenstadt, nach dem Tod ihres zweiten Mannes Emanuel Sänger in Nürnberg lebend, 2.11.1895.

Stein Nr. 1474: Hannle Tochter des Josua Bechhöfer aus Schwabach, zuerst verheiratet mit Sacharja Reitlinger in Wallerstein und Altenstadt, nach dem Tod ihres zweiten Mannes Emanuel Sänger in Nürnberg lebend, 2.11.1895: Hochformatige Stele mit profiliertem Sockel auf abgeschrägter Basis. Abgeschlossen mit flachem, antikisierendem Giebeldreieck, im Giebelfeld mittig Tondo mit reliefiertem Sternornament . Gesims des Gebälks unten mittig segmentbogig ausgenommen, darunter reliefierter Palmettenfächer. Rechteckige, gleichsam vorgesetzte Schriftplatte mit waagrechter hebr. Inschrift. Kopfbuchstaben im Gebälk. Schlussformel auf dem Sockel und Akrostichon durch Schriftgröße hervorgehoben. Steinmetzsignatur "H. Stehle." am Sockel. Eisensandstein des Braunen Jura beta. H: 176,8 cm; B: 72,6 cm; T: 38, 3 cm. - Geb. 15.7.1821 in Schwabach. Nach dem Tod des ersten Mannes Heirat (2.101871) mit dem Privatier Sänger, der am 5.4.1872 stirbt. Beide Ehen kinderlos: StadtA N C 21/II Nr. 283, Eintrag 137. Rückkehr nach Schwabach am 24.9.1872: StadtA N C 21/III Nr. 174; ebd., Abb. S. 620 (Aufn. 1991).
Stein Nr. 1474: Hannle Tochter des Josua Bechhöfer aus Schwabach, zuerst verheiratet mit Sacharja Reitlinger in Wallerstein und Altenstadt, nach dem Tod ihres zweiten Mannes Emanuel Sänger in Nürnberg lebend, 2.11.1895: Hochformatige Stele mit profiliertem Sockel auf abgeschrägter Basis. Abgeschlossen mit flachem, antikisierendem Giebeldreieck, im Giebelfeld mittig Tondo mit reliefiertem Sternornament . Gesims des Gebälks unten mittig segmentbogig ausgenommen, darunter reliefierter Palmettenfächer. Rechteckige, gleichsam vorgesetzte Schriftplatte mit waagrechter hebr. Inschrift. Kopfbuchstaben im Gebälk. Schlussformel auf dem Sockel und Akrostichon durch Schriftgröße hervorgehoben. Steinmetzsignatur "H. Stehle." am Sockel. Eisensandstein des Braunen Jura beta. H: 176,8 cm; B: 72,6 cm; T: 38, 3 cm. - Geb. 15.7.1821 in Schwabach. Nach dem Tod des ersten Mannes Heirat (2.101871) mit dem Privatier Sänger, der am 5.4.1872 stirbt. Beide Ehen kinderlos: StadtA N C 21/II Nr. 283, Eintrag 137. Rückkehr nach Schwabach am 24.9.1872: StadtA N C 21/III Nr. 174; ebd., Abb. S. 620 (Aufn. 1991).

Bei den Männern ist die Lage völlig anders: Sie werden fast alle, oft neben dem jüdischdeutschen Rufnamen, mit dem hebräischen Namen genannt, den sie bei der Beschneidung bekommen haben und der für den rituellen Gebrauch gilt. Da dieser in den meisten Fällen aus der Schrift entnommen ist, kann in der Grabschrift ein Bezug von diesem Namen des Verstorbenen zu einer Schriftstelle, an der der ursprünglich biblische Träger des Namens vorkommt, manchmal auch zu einer entsprechenden Textstelle der Traditionsliteratur oder der Liturgie, hergestellt werden. Diese Stelle wird dann in der Inschrift zitiert. Es werden nun in insgesamt 61 Inschriften 16 verschiedene männliche biblische Vorbilder genannt. Fast alle Texte, nämlich 58, enthalten Zitate, insgesamt 42, wobei mit einer einzigen Ausnahme immer ein Namensbezug zwischen Verstorbenem und Vorbild hergestellt ist. Bei den drei Texten mit einfachem Vergleich ohne Zitat fehlt dieser Bezug.

So ist das Verhältnis der Inschriften mit Zitaten und/oder Namensbezügen bei Frauen und Männern fast umgekehrt. Darin, und nicht etwa in einer viel häufigeren Nennung bib­lischer Vorbilder bei Frauen als bei Männern, wie es zunächst scheinen könnte, liegt der eigentliche Unterschied der Ge­schlechter.

Frauen

Die häufigste biblische Gestalt, mit der verstorbene Frauen ver­glichen werden, ist Debora aus dem Richterbuch: „Keusch wie Debora" ist hier die gängige Formel (vgl. Nr. 83 (1726) und Nr. 1245 (1851). Doch es gibt später auch andere Wendungen wie: „Ihr Herz (neigte sich) zu den Geboten, zu Mildtätigkeit und Wohltätigkeit wie Debora" (vgl. Nr. 383 (1752), Nrn. 267 (1760), 927 (1820) = 1039 (1824)). Die biblische Bezeichnung Deboras aus Richter 4,4 als „Frau des Lapidot", im Talmud auf ihre Frömmigkeit gedeutet, wird einmal angewendet (vgl. Nr. 76 (1789)). Erstaunlich ist dabei das fast völlige Fehlen des Vornamens Debora in den Inschriften; er erscheint im ganzen Friedhof nur einmal, und das in später Zeit (vgl. Nr. 1160 (1842)).

Noch auffälliger ist das bei Abigail, der klugen und guten Frau Nabals, dann Davids (1 Samuel 25): Abigail wird am zweithäufigsten als Vorbild von Frauen genannt (vgl. Nr. 83 (1726) und Nr. 1390 (1867));  doch ihr Name kommt als jüdischer Frauenname in den Inschriften nicht vor. Entsprechend ihrem von der Schrift geschilderten mutigen Vorgehen erhalten die mit ihr Verglichenen gerne auch das Prädikat der „tüchtigen Frau" (Sprüche 31); doch gibt es auch andere Vergleichspunkte (vgl. "Tüchtige Frau": 9 Vork.; Mildtätigkeit: 3, Keuschheit: 2, Gottesfurcht und Reinheit: 1, unbestimmt: 1 Vork. (Doppelnennungen)).

Stein Nr. 1390: Esther Tochter des Ruben aus Sulzbürg, Frau des Meir (Maier) Neumark, aus Georgensgmünd, 9.12.1867.

Stein Nr. 1390: Esther Tochter des Ruben aus Sulzbürg, Frau des Meir (Maier) Neumark, aus Georgensgmünd, 9.12.1867: Aufbau, Dekor und Inschrift wie Stein Nr. 1342, Reliefdekor des Abschlussbogens jedoch reicher. Hebr. Inschrift zuerst dreizeilig bogenförmig. Von Blütenreliefs flankierte Kartusche mit großer hebr. Schlussformel auf dem obersten Sockel aufgesetzt. Akrostichon durch Schriftgröße hervorgehoben und mit Punkten markiert. Grobkörniger Burgsandstein. Stark abgewittert. H: 167,3 cm; B: 78 cm; T: 37,5 cm; ebd., Abb. S. 601 (Aufn. 1991).
Stein Nr. 1390: Esther Tochter des Ruben aus Sulzbürg, Frau des Meir (Maier) Neumark, aus Georgensgmünd, 9.12.1867: Aufbau, Dekor und Inschrift wie Stein Nr. 1342, Reliefdekor des Abschlussbogens jedoch reicher. Hebr. Inschrift zuerst dreizeilig bogenförmig. Von Blütenreliefs flankierte Kartusche mit großer hebr. Schlussformel auf dem obersten Sockel aufgesetzt. Akrostichon durch Schriftgröße hervorgehoben und mit Punkten markiert. Grobkörniger Burgsandstein. Stark abgewittert. H: 167,3 cm; B: 78 cm; T: 37,5 cm; ebd., Abb. S. 601 (Aufn. 1991).

Der nächsthäufige Vergleich ist der mit Abrahams Frau Sara ( vgl. Nr. 484 (1697), Nr. 1743 (1791)); er ist auf keinen bestimmten Punkt festgelegt. Der Ver­storbenen wird dabei in der Mehrzahl der Fälle (sieben von zehn) eine Auszeichnung mit der angehängten Formel „wie unsere Mutter Sara" zugesprochen. Trotz der Häufigkeit des Vornamens Sara (s. u.) hat sich nur in einem einzigen Fall (Nr.156 (1741)) der Verfasser einer Inschrift vom Namen der Verstorbenen inspi­rieren lassen. Er verwendet hier, in einer Elegie auf eine zwan­zigjährig verstorbene Jungfrau Sara, die bekannte Tradition, dass Sara „mit zwanzig Jahren so schön war wie eine Sieben­jährige" (Raschi zu Gen. 23,1 (nach Midr. rabba Gen 58,1)). Diese Überlieferung setzt sich in der anderen fort, dass Sara „mit hundert Jahren in Bezug auf die Sünde wie eine Zwanzigjährige" war, und dies wird dann in einer weiteren In­schrift auf eine jung, mit 26 Jahren, verstorbene Frau, ange­wendet (vgl. Nr. 383 (1763)). In zwei anderen Vergleichen wird die Verstorbene deswegen mit Sara verglichen, weil sie wie diese „bei ihren Ge­boten sorgfältig war" (vgl.  Nr.484 (1697)). bzw. sich keusch im Haus aufhielt wie das einst Sara, nach der talmudischen Legende ( Bab. Talmud, Baba mezia 87a (Raschi zu Gen 18,9)) im Zelt Abrahams tat ( vgl. Nr. 284 (1740)). An den Vergleich mit Sara schließt sich derje­nige einer Verstorbenen als „tüchtiger Frau" mit allen Urmüt­tern zugleich an: mit Lea, Rachel, Rebekka und Sara; er kommt nur einmal vor (Nr. 890 (1742). Von den drei Urmüttern nach Sara wird nur Lea in einem einzigen Fall in einem direkten Ver­gleich genannt. Hier wird der biblische Satz „Leas Augen waren (wurden) trüb", in der Schrift (Genesis 29,17) vom Mangel an Schönheit sprechend, in der Tradition (Midr. rabba Gen 70,16) jedoch auf verdienstvolles Weinen der Urmutter gedeutet, auf das Sterben einer Lea bezogen (vgl. Nr. 891 (1759); indirekter Vergleich mit Rachel: vgl. Nr. 1241 (1851)).

Esther erscheint als Vorbild neunmal, fast ebenso oft wie Sara; doch ist es bei ihr ganz anders als bei dieser: Sie wird nur dann genannt, wenn die Verstorbene ebenfalls den Namen Esther trägt. Dazu wird nur in wenigen Fällen der einfache Vergleich gebracht, der immer mit „eine tüchtige Frau wie Esther und Abigail" formuliert ist (vgl. Nrn. 146 (1809), 1262 (1854), 1390 (1867)). Bei den meisten Vor­kommen wird dagegen ein Referenzzitat aus dem Estherbuch gebracht, wozu besonders gut der Satz „und Esther wurde hinweggenommen (zum König ...)" (Esther 2,16) taugt, weil er auf das Scheiden von dieser Welt zur jenseitigen hin ge­deutet werden kann (vgl. Nrn. 1757 (1729), 489 (1740), 143 (1809)) Doch auch andere Zitate aus dem Estherbuch werden verwendet (Est. 5,2: vgl. Nrn. 221 (1759), 794 (1776),; 2,7: 1439 (1881)).

Bei Hanna, der Mutter Samuels, wird dagegen wieder in den meisten Fällen (vgl. Nrn. 484 (1697: Vorform), 90 (1746?), 379 (1749), 382 (1752: nicht völlig sicher), 120 (1754), 94 (1756), 347 (1761)). ein stereotyper Vergleich gebraucht: Es heißt, dass die Verstorbene „ihre Gebote einhielt wie Hana" o. ä.; dabei ist sicher auch an den Gleichklang des Namens Hanna, hebräisch Chan(n)ah, mit den CHaNaH-Geboten (s.o) gedacht. Während hier die Verstorbenen jedoch nicht den Vornamen Hanna (Channah) tragen, ist bei einer Hanla (Koseform von Hanna) das eifrige Gebet nach dem Vorbild Hannas (1 Samuel 1) genannt. (vgl. Nr. 448 (1735)). Die Inschrift von Hanna/Hanla Sänger vom Ende des 19. Jhs. (vgl. Nr. 1474 (1895)) bringt schließlich einen ganzen Midrasch, wohl Nachklang der Trauerpredigt, in dem insgesamt fünf Stellen der biblischen Hanna-Geschichte aus dem 1. Samuelbuch mit dem Leben der Verstorbenen in Beziehung gebracht werden.

Mirjam, die Schwester Moses, wird zum einen im direkten Vergleich genannt: bei zwei Frauen mit Namen Mirjam, die  kurz hintereinander starben und bei denen der Grabschriftverfasser die gleiche Formel „eine tüchtige Frau, keuch war sie wie Mirjam und Abigail" benutzte (vgl. Nrn. 64 (1732), 199 (1735)). Zum anderen wird in den gleichen Jahren, von drei Frauen gesagt, dass sie "durch einen Kuss (Gottes)", also schmerzlos, starben "wie Mirjam", die nach der talmudischen Legende" (Bab. Talmud Moed qatan 28a; Baba bathra 17a.) wie ihre Brüder Mose und Aaron mit diesem sanften Tod - "wie das Herausziehen eines Haars aus der Milch" (Bab. Talmud Berakhot 8a) begnadet wurde (vgl. Nrn. 448 und 763 (beide 1735), 284 (1740)). Eine ähnliche Anspielung auf eine Talmudstelle findet sich um die gleiche Zeit bei einer Eva (Chawwa), wenn es heißt, dass „ihr Tod nach nach dem Urteil über Eva erfogte" (vgl. Nr. 764 (1739). Der Talmudtext, der hier zitiert wird (Bab. Talmud, Sota 12a.), versteht unter diesem „Urteil" den Geburtsschmerz von Genesis 3,16. Hier und auch noch in einer Inschrift aus dem 19. Jh. (vgl.Nr. 1245 (1851)) mit dem gleichen Zitat ist da­mit jedoch das in Genesis 3,18 verhängteTodeslos gemeint.

Männer

Die Gestalt der Bibel, die am häufigsten in den Inschriften der Männer genannt wird, ist Jakob, was mit der ungemeinen Häu­figkeit des Namens Jakob (jüdischdeutsch Jokew ausgesprochen und oft zu Kopp(e)l vereinfacht (Anm. 628: Der hebr. Name Jakob findet sich, für einen Verstorbenen direkt oder als Verwndtschaftsbezeichnung (Sohn des ...u.ä), in über 100 Inschriften. Die jüdischdeutschen Formen des Namens, Jokew und Koppel (dieses analog zum nichtjüdischen Seppl für Josef gebildet), sind nicht selten: Jokew ( das o als alef oder als waw geschrieben) erscheint zwölfmal, Koppel (mit und ohne j geschrieben) zehnmal), aber auch mit der großen Zahl der „verwendungsfähigen" Schriftstellen zusammenhä­ngt. Das erste Namenszitat begegnet bereits Mitte des 17. Jhs., wenn es bei "Jakob Gmünd" (Überschrift des Steins) heißt: "Und diesen Stein, den ich gesetzt habe / als Stele zu Häupten eines gottesfürchtigen / Mannes, der mit seinem Namen beze­ichnet und zubenannt wurde / Jokew Sohn des Ascher selig, welcher verschied am Freitag / und begraben wurde am Sonn­tag dem 22.Aw des Jahres Und Jakob l brach nach Sukkot auf und erbaute dort ein Haus (Genesis 33,17), welches / weit offenstand. / Seine Seele sei eingebunden in den Bund des Lebens." (vgl. Nr. 45 (1642); (Anm 629: Da "zubenannt" (mekunneh) immer bei jüdisch-deutschen Namen erscheint, muss der Name wohl Jokew gelesen werden. "Selig" = szl. "Dort" statt "sich" im Schrifttext. Vorletzte Zeile, zweites Wort: Verschreibung, letztes Wort: versehentliche Verdopplung).

Mit dem Genesiszitat aus der Jakobsgeschichte wird mög­licherweise auf einen Hausbau des verstorbenen Jakob ange­spielt, der dann vor 1631 zu datieren wäre, da die Gmünder Ju­den von diesem Jahr ab in Folge des Dreißigjährigen Krieges in Armut und Elend verfielen. Das Zitat, das in einem Chro­nogramm (dazu s. u.) die Jahreszahl enthält, wird geschickt verbunden mit einer Anspielung auf den bekannten Mischna­spruch (Avot 1,5) des Jose ben Jochanan, der beginnt: „Dein Haus soll weit offenstehen, und Arme sollen deine Hausge­nossen sein ..." Das häufigste Zitat, mit dem bei einem ver­storbenen Jakob auf das biblische Vorbild angespielt wird, ist freilich Genesis 25,27: „Und Jakob war ein rechter Mann, in Zelten wohnend". Da die Zelte von der Tradition (vgl. Nr. 285 (um 1740)) auf Lehr­häuser gedeutet wurden, in denen der Patriarch studierte, wird damit der Verstorbene wegen seines Torastudiums gerühmt. (vgl. Nrn. 285 (um 1740), 1007 (1826), 1276 (1853); auch dort, wo nur "Jakob war ein rechter Mann" steht, ist wohl dieser Hintergrund mitzudenken: Nrn. 150 (1782), 77 (1801), 1000 (1823)). Auch die weiteren Zitate, mit denen in Eulogien auf Jakob angespielt wird, sind aus den Jakobsgeschichten der Schrift entnommen: Genesis 27,22; (vgl. Nr. 77 (1801) 31,25; (vgl. Nr. 196 (1745), 120 (1754) 32,2; (vgl. Nr. 766 (1748), 120 (1754) 33,18; (vgl. Nr. 785 (1557) 49,33 (vgl. Nr. 769 (1754). Nur eines stammt aus Psalm 135,4, wo es heißt: „Ja­kob (= Israel) hat Er erwählt ... zum Eigentum". Das wird in­dividualisiert auf Jakob Kohn aus Thalmässing bezogen (vgl. Nr. 961 (1816)).

Der Name, auf den am nächsthäufigsten mit Zitaten ange­spielt wird, ist Mose, was einerseits aus seiner großen Verbrei­tung (Es sind Steine von rund 70 Männern und Kindern mit dem, Vornamen Mose erhalten; grob geschätzt trug also jeder zehnte Verstorbene diesen Vornamen), andererseits von den in Schrift und Tradition reichlich bereit stehenden Texten her erklärbar ist. Das häufigste Thema, auf das bei einem verstorbenen Mose angespielt wird, ist das des Aufstiegs zu Gott, vor allem in einem Mischzitat aus Exodus 19,3 und dem auf Mose gedeuteten (Midr. Teh. 68,10; Bab. Talmud Schabbat 89a) Vers 19 aus Psalm 68, „Mose stieg in die Höhe empor": Der Aufstieg auf den Berg Si­nai zum Offenbarungsempfang wird auf den Aufstieg des Ver­storbenen zu Gott gedeutet, ganz ähnlich wie das Hinwegge­nommenwerden Esthers ins „Haus des Königs" als Hinwegge­nommenwerden in die jenseitige Welt interpretiert wird (s. o.) (Vgl. Nr. 190 (1740), 214 (1765), 1546 (1909)). Da nach dem Talmud Mose auch Tobia hieß und das in ein bekanntes Stück der Liturgie einging, konnte bei einemTo­bia auch die betreffende Stelle zitiert werden: „Tobia stieg in die Höhe empor" (vgl. Nr. 779 (1736) ebenso dann bei der Frau eines Tobia, die zu­gleich Tochter eines Mose war (vgl. Nr. 764 (1739). Auch das wörtliche Zitat von Exodus 19,3 „Mose stieg zu Gott empor" begegnet (vgl. Nrn. 760 (1730/40), 408 (1786) wie auch seine Abwandlung zu „ ... stieg in den Himmel empor" (vgl. Nr. 762 (1729). Noch weitere Stellen aus der Schrift (vgl. Nr. 760 (1730/40): Ex 18,26; Nr. 459 (1756): Ex 34, 29f., 35; Nr. 760 (1730/40): Num 11,2 (21,17) Nr. 157 (1751): Num 12,3); aus der Traditionslitera­tur (vgl. Nrn. 349 (1764), 408 (1786): Bab. Talmud Schabbat 101b; Nr. 349 (1764). Baba batra 74a (Sanhedrin 110a/b) und aus der Liturgie (vgl. Nr.193 (1741): "Mose freute sich ..." Liturgie des Sabbatmorgens) die sich auf Mose, jedoch nicht auf seinen Aufstieg, beziehen, werden in den Grabschriften gleich­namiger Verstorbener zitiert.

Stein Nr. 1374: Abraham Sohn des Simson Klein, aus Roth, 68 Jahre alt, 15.6.1875

Grabstein Nr. 1374: Abraham Sohn des Simson Klein, aus Roth, 68 Jahre alt, 15.6.1875. Hochformatige Stele mit profilierter Sockelplatte und Sockel über Basis. Überfangen mit einer profilierten, eingezogenen Steilgiebelbedachung, seitlich über den Einzügen akroterienartig aufgesetzte Blattrankenreliefs. Im zurückgesetzten Giebelfeld aus Blattwerk und Ranken gebildetes kreuzblumenartiges Ornament mit Blütenrosetten in Halbrelief. Das eingetiefte Schriftfeld in schmalem, oben als Rundbogenfries ausgebildetem Profilrahmen. Waagrechte, geschwärzte hebr. Inschrift, gefolgt vom deutschen Namen. Unter dem Schriftfeld hebr. Schlussformel. Akrostichon teilweise durch Schriftgröße hervorgehoben und mit Punkten markiert. Rechts oben am Sockel Steinmetzsignatur "E. Feuerlein. Roth." Hellolivgrauer Schilfsandstein (Grüner Mainsandstein). H: 179,3 cm; B: 68,6 cm; T: 30 cm; ebd. Abb. S. 596 (Aufn. 1991)
Grabstein Nr. 1374: Abraham Sohn des Simson Klein, aus Roth, 68 Jahre alt, 15.6.1875. Hochformatige Stele mit profilierter Sockelplatte und Sockel über Basis. Überfangen mit einer profilierten, eingezogenen Steilgiebelbedachung, seitlich über den Einzügen akroterienartig aufgesetzte Blattrankenreliefs. Im zurückgesetzten Giebelfeld aus Blattwerk und Ranken gebildetes kreuzblumenartiges Ornament mit Blütenrosetten in Halbrelief. Das eingetiefte Schriftfeld in schmalem, oben als Rundbogenfries ausgebildetem Profilrahmen. Waagrechte, geschwärzte hebr. Inschrift, gefolgt vom deutschen Namen. Unter dem Schriftfeld hebr. Schlussformel. Akrostichon teilweise durch Schriftgröße hervorgehoben und mit Punkten markiert. Rechts oben am Sockel Steinmetzsignatur "E. Feuerlein. Roth." Hellolivgrauer Schilfsandstein (Grüner Mainsandstein). H: 179,3 cm; B: 68,6 cm; T: 30 cm; ebd. Abb. S. 596 (Aufn. 1991)

Wesentlich seltener als Jakob oder auch Mose erscheint Abraham in Namensanspielungen. Für ihn gibt es auch kein Zitat, das gleichsam standardisiert wiederkehrt, sondern ein­zelne einfache Stellen aus der Schrift, die adaptiert werden: „Und Abraham starb in hohem Alter" (vgl. Nr. 687 (1713): Gen 25,8) „Abraham kehrte an seinen Ort zurück " (vgl. Nr. 157 (1751): Gen 18,33)  „Abraham glaubte, und es wurde ihm als Gerechtigkeit angerechnet" (vgl. Nr. 1285 (1856): Gen 15,16)  „Abraham ging fort; denn die Sonne war untergegangen" (vgl. Nr. 1374 (875): Gen: 28,11). Dazu kommt die Talmud­stelle, die besagt, dass „Abraham einen Ort fürs Gebet be­stimmt hatte" und die beim frommen Isaak Abraham Heil­bronn aus Schwabach, der „sich abgesondert hielt", ergänzt wird durch „am frühen und späten Abend": Das deutet auf einen der Mystik Ergebenen hin (vgl. Nr. 184 (1735): Bab. Talmud Berakhot 6b). Dazu tritt in einer weiteren Inschrift der direkte Vergleich mit der an vielen Stellen der Tradition bezeugten Wohltätigkeit Abrahams (vgl. Nr. 762 (1729).

Als die entscheidende Tat Isaaks wird, nach der rabbini­schen Auffassung von Genesis 22 seine Bereitschaft zum Selbstopfer am Berg Moria gesehen; so wird - ausnahmsweise nicht bei Namensgleichheit - ein Abraham in diesem Punkt mit ihm verglichen; (vgl. Nr. 823 (1785) aber auch der eben genannte vermutli­che Mystiker Isaak Abraham wird schon relativ früh mit Ge­nesis 22,2 als „das Opfer" gesehen. Die Stelle „Isaak ging hin­aus aufs Feld, um zu meditieren" (Genesis 24,63) wird zwei­mal auf einen Isaak angewendet, da sie von der Tradition, vor allem vom vielgelesenen mittelalterlichen Raschikommentar, auf das Gebet des Patriarchen gedeutet wird (vgl. Nrn. 125 (1755), 1355 (1868). Aber auch der vorangehende Vers Genesis 24,62 wird, von der Traditon alle­gorisch gedeutet, auf Isaak Eisik, den Hoffaktor, bezogen (vgl. Nr. 781 (1753); vgl. Midrasch rabba Gen z. St).

Für zwei im gleichen Jahr Verstorbene, nebeneinander Be­grabene, die den Namen Mardochajs, des männlichen Gegen­stücks der hochgerühmten Esther, tragen, werden zwei ver­schiedene Stellen aus dem Talmudtraktat Megilla (Estherrolle) zitiert. Die eine spricht davon, dass „Mardochaj mit (verschie­denen) Namen gekrönt" war (vgl. Nr. 349 (1764): Bab. Talmud Megilla 12 b) die andere ist Deutung des (nicht-jüdischen) Namens im Sinn von Exodus 30,23 als „edelste Myrrhe" (vgl. Nr. 350 (1764): Bab. Talmud Megilla 10b).  Diese Deutung wird zu Anfang des 19. Jhs. noch einmal aufgegriffen (vgl. Nr. 872 (1810).

Zwei ältere Inschriften, in denen bei einem David auf den biblischen König angespielt wird, haben Schrifttexte, die von dessen Sterben handeln: „Und David entschlief mit seinen Vätern (1 Könige 2,10) und wurde begraben am ..." (vgl. Nr. 1760 (1730): ausnahmsweise nicht in Eulogie, sondern Ersatz für niftar); „Als die Tage Davids zum Sterben nahten (1 Könige 2,1), da wurde er für die Hochschule, die da droben ist, begehrt..." (vgl. Nr. 191 (1740).

Die erste Inschrift, einem Mitglied der „Gemeindearisto­kratie" von Thalmässing gewidmet, spricht außerdem davon, wie David Recht und Mildtätigkeit übte (2 Samuel 8,15). Eine jüngere Inschrift verwendet einen Text, der davon spricht, dass David das Volk segnete, was ganz allgemein oder auch speziell auf das Segnen der Kinder vor dem Hinscheiden gedeutet werden kann (vgl. Nr. 1075 (1828): 2 Sam 6,18).

Auf Juda (vgl. Nr. 38 (1903), Josef (vgl. Nrn. 777 (1735), 155 (1750): Gen 50, 26; 290 (1741): Gen 25, 25), Elieser (vgl. Nrn. 187 (1731), 584 (1754): Ex 18,4 gedeutet durch Bab. Talmud Megilla 28a),  Salomo (vgl. Nrn. 350 (1764), 1284 (1856): 2 Chr 22,9), Aaron (vgl. Nr. 749 (1729): Mischna Avot 1,12),  Samu­el (vgl. Nr. 155 (1750): Bab. Talmud Moed Qatan 28a) und Henoch (vgl. Nr. 481 (1802): Gen 5,22) werden relativ selten Texte der Schrift oder der Tradition bezogen. Einen Ausnahmefall stellen „He­sekiel, Jesaja und die Frommen der Vorzeit" dar (vgl. Nr. 158 (1749)) mit denen ein Greis aus Windsbach verglichen wird.

Auf den Namen Naftali wird an allen betreffenden Stellen ein Vers aus dem Jakobssegen angewandt: Naftali ist wie eine flüchtige Hindin, (femand, der liebliche Worte hervorbringt) (vgl. Nr. 190 (1740), 427 (1758), 1504 (1889): Gen 49, 21 ("jemand ..." im Sinn der Tradition übersetzt). Der Vergleich Naftalis mit der Hindin aus Genesis 49,21 hat wohl dazu geführt, dass hebräisch Zwi (= Hirsch) und jüdischdeutsch „Hirsch" der bevorzugte Rufname für Naftali wurde. Auf Naftali / Hirsch / Zwi konnte man dann in den Grab­schriften die bekannte Stelle aus den „Vätersprüchen"anwen­den: „Sei (stark wie ein Panther, schnell wie ein Adler,) eilig wie ein Hirsch (zwi) (und stark wie ein Löwe), den Willen deines Vaters im Himmel zu erfüllen" (vgl. Nrn. 427 (1758), 1175 (1843): Mischna Avot 5,20. Auch auf andere. die nur Zwi (nicht Naftali) heißen oder ganz andere Namen tragen, angewandt: Nrn. 836 (Ende 18. Jh.), 1206 (1846), 1517 (1895).

Die hier im Fall Naftalis besprochene Kombination be­stimmter hebräischer biblischer Vornamen mit hebräischen und jüdischdeutschen Tiervornamen ist ein allgemein ver­breitetes Phänomen, auf das kurz eingegangen werden  muss, da es auch in den Grabschriften Georgensgmünds öfter begegnet. Der Ursprung ist anscheinend immer noch nicht umfassend erforscht. So ist es zwar, wie gezeigt, von Genesis 49,2I her verständlich, dass die Träger des Namens Naftali aus­schließlich den Zunamen Hirsch/Zwi haben. Von Genesis 49,9 her, wo im Segen für Juda dieser zweimal mit einem Löwen verglichen wird, ist es weiterhin klar, dass in den Inschriften Jehuda/Juda mehr als mit jedem anderen Zunamen mit Löw verbunden ist. Weshalb aber für Ascher in sechs von acht Fällen Georgensgmünds Lämml(e) und für Benjamin in vier von fünf Fällen Wolf/ Seew Zuname ist, ist unklar. Dov /Bär schließlich ist der am wenigsten mit einem hebräischen biblischen Namen fest verbundene Tier-Vorname; er ist immerhin fast ausschließlich Zuname von Jakob, Josef und Joel (acht, sechs und vier Fälle).

 

(Auszug aus Kuhn, Peter: Entwicklung, Sprache und Menschenbild der Grabinschriften, ebd., S.281 - 284)

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