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Das Ende des Friedensprozesses

Oslo und danach

Edward Said, einer der einflussreichsten Intellektuellen unserer Zeit ...

Edward Said analysiert mit gewohnter Schärfe den Nahostkonflikt seit dem Abkommen von Oslo bis hin zu den aktuellen Nachwirkungen des 11. September. Dabei verschont er mit seiner Kritik weder Israel noch die Palästinenser. Scharfzüngig, aber nicht ohne Hoffnung kommentiert er als homme engagé nach art von sartre das kontinuierliche Schitern des so genannten "Friedensprozesses".

Ein Blick hinter die Mythisierungen und Vereinfachungen der Medien

Der Nahe Osten zählt nun schon seit Jahrzehnten zu den brisantesten Krisenherden der Weltpolitik. Angesichts der nicht abreißenden Gewalt auf beiden Seiten scheint der Konflikt zwischen Israel und den plästinensern unlösbarer denn je.

Edward E. Said, einer der einflussreichsten Intellektuellen unserer Zeit, hat diesen Konflikt auch auf Grund seiner eigenen palästinensischen Herkunft und Geschichte immer wieder kommentiert. Sein Buch versammelt etliche journalistische Texte, mit denen er den so genannten "Friedensprozess" seit dem Abkommen von Oslo bis heute in der für ihren typischen kritischen und engagierten Art begleitet. Für Said erweist sich das Abkommen von Oslo nicht als Durchbruch zum Frieden, sondern als gut getarnter Misserfolg, denn darin ist weder von der Selbstbestimmung noch von Souveränität der Palästinenser die Rede, geschweige denn von einem Ende der israelischen Siedlungspolitik. Er spart nicht mit Kritik an Israel, blickt hinter die Mythisierungen und Vereinfachungen der Medien und läuft Sturm gegen das westlich-israelische Vorurteil, jeder Palästinenser sei ein Terrorist, jeder Muslim ein blutrünstiger Fundamentalist. Doch auch die palästinensische Seite verschont er nicht. So kommentiert er scharfzüngig Arafats Führungsstil und wirft ihm vor, der israelischen Gewalt, etwa in Form der illegalen landenteignungen, tatenlos zuzusehen. Zugleich verurteilt Said den palästinensischen Propaganda- und zwangsapparat, der jede Regung von Kultur und Wissenschaft im Keim erstickt.

Bei aller Ernüchterung bewahrt Edward Said einen Funken Hoffnung, und zusammengenommen enthalten die Texte wohl durchdachte, überzeugende Vorschläge, wie eine friedliche Schlichtung des israelisch-palästinensischen Konflikts aussehen könnte.

Textauszug

Wohin geht Israel ?

Kurz nach dem Bau des Pariser Eiffelturms Mitte des 19. Jahrhunderts soll sich der gefeierte Schriftsteller Guy de Maupassant überall darüber ausgelassen haben, wie sehr er das Bauwerk verabscheue. Gleichwohl begab er sich jeden Tag zum Mittagessen in das Turmrestaurant. Auf sein paradoxes Verhalten angesprochen, entgegnete Maupassant kühl: "Ich esse dort, weil es der einzige Ort in Paris ist, von dem aus der Turm nicht zu sehen ist."

Ich habe ganz allgemein den Eindruck, dass für die meisten Israelis ihr Land unsichtbar ist. Das Leben geht dort einher mit einer gewissen Blindheit oder Unfähigkeit zu sehen, was das Land darstellt und wie ihm geschehen ist. Ebenso bemerkenswert ist die mangelnde Bereitschaft zu verstehen, was seine Existenz für andere in der Welt und insbesondere im Nahen Osten bedeutet hat. Wenn diese Zeilen im Druck er­scheinen, werden die israelischen Wahlen stattgefunden haben, und wie jetzt schon seit einigen Wochen vermutet wird, heißt der neue Premierminister dann womöglich Ariel Scharon. Wie in den Monaten vor und unmittelbar nach der Wahl Ehud Ba­raks haben sich die US-Medien diesmal sehr stark auf Scharon konzentriert und immer wieder versucht, ihn als einen plau­siblen oder zumindest nicht völlig abwegigen und anstößigen Kandidaten darzustellen. Ich glaube nicht, dass sich außerhalb Israels irgendjemand wirklich davon hat überzeugen lassen, aber es ist verblüffend und erschreckend, dass eine Mehrheit der Israelis eine Wahl des unverbesserlichen alten Palästinensermörders in Erwägung zieht, nachdem unter Ehud Barak vier Monate lang palästinensisches Blut vergossen und mehrere Millionen arabische Bewohner des Westjordanlandes, des Gaza-Streifens und innerhalb Israels selbst kollektiv bestraft wurden, ohne dass damit irgendetwas erreicht worden wäre. Den Umfragen zufolge haben sich die Israelis für einen Mann entschieden, der ihnen mehr und nicht weniger Gewalt bringe­n wird, weshalb sich Israels zukünftige Beziehungen zu den Palästinensern, den arabischen Staaten und der moslemischen Welt wohl kaum friedlicher und weniger problematisch gestal­ten werden.

Die Frage lautet, wie die Leute eine so offensichtlich kontraproduktive Wahl ins Auge fassen können - es sei denn, sie hätten von vornherein schlichtweg keine Vorstellung davon, was die Welt von ihnen halten mag, und dass eine solche Zerst­örung und Grausamkeit ihnen weitere Isolation, Abneigung und somit auch Unsicherheit eintragen wird.

Der Flirt mit Scharon bedeutet insofern eine weitere Wendung nach innen, eine entschiedene Abfuhr für die Außenwelt zu Gunsten der alten Politik, Araber zu unterdrücken, einer Poliitik, die Israel mehr denn je isoliert und diskreditiert hat. Natürlich geht das Leben im Lande weiter wie überall sonst, und selbstverständlich sind die meisten Israelis normale Men­scheen mit dem Wunsch, ein normales Leben zu führen, für das Wohl ihrer Familien zu sorgen, in ihrer Arbeit Erfolg zu haben und keine Angst vor Katastrophen oder Krieg haben zu müssen. Ihre kollektive Geschichte als Volk bildet jedoch einen überraus verhassten Teil der modernen arabischen Geschichte und bedeutet insbesondere für die Palästinenser eine schlichte Katastrophe. Diese gleichberechtigte und gegensätzliche Beziehung sucht auf der Welt ihresgleichen, und bis jetzt habe ich noch keinen Palästinenser getroffen, für den nicht auch die vor­teilhafteste Seite von Israels Existenz zugleich mit negativen Konsequenzen für Palästina und Palästinenser verbunden wäre. Man kann zum Beispiel kaum eine israelische Landschaft be­trachten, ohne zugleich den verschwundenen palästinensischen Hof oder das Dorf zu sehen, an deren Stelle sie getreten ist. Es fällt schwer zu hören, dass jemand aus Rumänien oder Russ­land nach Israel einwandert, ohne zugleich den Schmerz eines exilierten Palästinensers zu empfinden, der an der Rückkehr gehindert wird.

Seit über fünfzig Jahren geht das so: Das Leben in der einen Gemeinschaft bedeutet Frustration und Leiden in der anderen, Maß für Maß, wie du mir, so ich dir - unerbittlich und un­barmherzig. Kein Palästinenser braucht daran erinnert zu wer­den, dass jeder israelische Sieg automatisch auch eine paläs­tinensische Niederlage bedeutet hat.

Selbst nach 1967, als sich Israelis und Palästinenser demo­graphisch stärker mischten als je zuvor, wurden die Distanz und die Unterschiede zwischen den beiden Welten größer, un­geachtet ihrer totalen Nähe. Die militärische Besatzung stand jeder Verständigung im Wege, und so kam es in den Jahren nach Oslo kaum einmal zu gegenseitigem Austausch, wenn man einmal von der relativ kleinen und privilegierten Grup­pe der Sicherheitsleute und Verhandlungsführer absieht. Am meisten hat mich jedoch irritiert, wie enttäuscht und verbittert viele Israelis über die al-Aqsa-Intifada waren, so als wären die unaufhörlichen Siedlungsgründungen, die ständigen Abriege­lungen, die Enteignungen, die tausendfachen Demütigungen, Bestrafungen und willkürlichen Schikanen, die die Palästinen­ser von israelischer Seite erfahren, während doch angeblich beide einen Frieden aushandeln - so als wäre all dies voll­kommen nebensächlich, als genügte Israels großzügiges »Zu­geständnis« kleiner Fetzen palästinensischer Autonomie für einen Schluss-Strich und als wäre das Volk deswegen auch noch zu Dankbarkeit verpflichtet. Statt zu versuchen, die israelische Besatzungspolitik und die Intifada als Ursache und Wirkung miteinander in Verbindung zu bringen, wollen viele Israelis jetzt offenbar Scharon an der Macht sehen, damit er, wie einer von ihnen einem Journalisten gesagt hat, "mit den Arabern fertig wird" so als seien "die Araber" ein lästiger  Mückenschwarm.

Selbst israelischen Friedensaktivisten scheint niemals in den Sinn gekommen zu sein, dass das Verhalten Israels, das die  Lage nicht verbesserte, sondern verschlimmerte, von ihnen gar nicht wahrgenommen oder verstanden worden ist. Dazu zählt das quälend langsame Tempo, mit dem sich die Israelis hier und da aus besetzten Gebieten zurückziehen, samt den  tausend Vorbehalten und endlosen Verhandlungen über all die unvorstellbar komplizierten Bedingungen, die Israel an jeden kleinen Schritt knüpfte, etwa an die Umgruppierungen einiger Truppeneinheiten von einer Seite des Westjordanlandes zur anderen. Dasselbe gilt für den ständigen Bau neuer Siedlungen, die neuen Unterteilungen und Straßen, die den Gaza-Streifen und das Westjordanland mehr und mehr zerschneiden, die häufigen Abriegelungen, den anhaltenden Einsatz von Folter, die Gewalt der Siedler in Orten wie Hebron und nicht zuletzt für die Tatsache, dass unter der Regierung Baraks überhaupt kein Stück Land aufgegeben wurde. Dabei haben sich die Pallästinenser nicht anders verhalten als alle kolonisierten Völker in der Geschichte: sie rebellierten und leisteten Widerstand. Warum ist das so schwer nachzuvollziehen, und warum  weigert sich ein so offensichtlich begabtes Volk wie die Israelis, die elementarsten Aspekte menschlichen Verhaltens zu verstehen?

Wer es aber auch nur einen Augenblick lang für möglich hält, dass all diese Dinge, die den Palästinensern im Rahmen des Friedensprozesses angetan werden, die Lage verbessern sollten - ganz recht, verbessern -, der muss eine sehr rnerk­würdige Selbstwahrnehmung und eine besonders verquere Psychologie aufweisen. Was sagt diese Verdrehung von Ur­sache und Wirkung über den jeweiligen Menschen aus? Was bedeutet es, wenn jemand glaubt, Strafe und Sadismus würden tatsächlich die Beziehungen zwischen den Menschen verbes­sern? Kürzlich erschien in der Zeitung Ha'aretz (28. Januar 2001) ein Artikel von Amira Hass, der in quälenden Details beschrieb, was es für jeden Palästinenser heute bedeutet, eine Straße zu benutzen, und wie elend, erschreckend und absolut hassenswert diese Erfahrung für jeden ist, jung oder alt, Mann oder Frau, nur weil Israel beschlossen hat, das gesamte Volk so zu behandeln. Das ist nichts als ein sadistisches Bedürfnis, zu bestrafen: Es dient weder Sicherheitsinteressen noch langfris­tigen Zwecken außer dem, jenen Palästinensern das Leben zur Hölle zu machen, die die meiste Zeit des Tages auf der Stra­ße zubringen, dort endlose Verzögerungen, Umwege, Durch­suchungen, Demütigungen und Verhöre zu ertragen haben und auf Grund israelischer Launen allzu oft überhaupt nicht an ihr Ziel gelangen. Wie sollte das irgendjemandem nützen? Das kann nur jemand glauben, der jeden Sinn für die Wirk­lichkeit verloren hat.

Ich kann mir durchaus vorstellen, dass Israelis, die solche Maßnahmen guthießen, ansonsten ganz normale Menschen waren. Nur da, wo Araber ins Spiel kamen, lagen die Dinge anders. Meines Wissens hat kein führender israelischer Politiker jemals innegehalten und gesagt: Wir haben diesen Menschen Unrecht angetan, wir haben sie aus ihren Häusern vertrieben, wir haben ihre Gesellschaft zerstört und sie enteignet - wir sollten all das zumindest nicht vergessen und versuchen, ihnen die Lage jetzt zu erleichtern. Niemals während der langen und umständlichen Verhandlungen des Friedensprozesses wurde der Presse auch nur zugeflüstert, dass ein israelischer Vertreter sich großzügig geäußert oder angedeutet hätte, er empfinde Gewissensbisse für das, was im Namen Israels einem ganzen Volk angetan worden ist. Alles, was man hörte, war, dass ein jeder Fußbreit Land, der zur Diskussion stand, den Palästinensern nur unter Tausenden von Auflagen überlassen wur­de, dass ein ohnehin geteiltes Palästina zwei , drei, vier weitere Male geteilt wurde, um es palästinensischem Zugriff zu entzie­hen, und damit Palästinenser noch mehr Hindernisse überwinden und noch weitere Jahre warten müssten, ehe sie so etwas wie einen lebensfähigen Autonomiestatus erreichen könnten . Nach wie vor blieben Hunderte von politischen Gefangenen in Haft, weiterhin waren die palästinensischen Bürger Israels auf ihre verarmten Dörfer mit ihren zweitklassigen Schulen und Verwaltungen beschränkt und durften aus religiösen und eth­nischen Gründen kein Land kaufen oder pachten, damit Israel eine jüdische Mehrheit im Herrenstil behalten konnte, damit israelische Juden ein anderes Volk terrorisieren und unterdrücken konnten, ohne sich mit ihm auseinander setzen oder auch nur vor Augen haben zu müssen.

Man braucht kein Aristoteles oder ein de Gaulle zu sein, um zu erkennen, dass Israels Politik der offiziellen Blindheit niemals den Sieg erbringen würde, so wenig wie Scharons Poli­tik im Libanon Erfolg hatte und Baraks »Friedens«-Politik den Frieden brachte oder die al-Aqsa-Intifada beendete. Wie Maupassant im Restaurant des Eiffelturms, verrennt sich Israel unter der Führung eines Falken-Generals immer mehr in eine Lage, aus der es weder entkommen noch den Kampf gewinnen kann. Statt sich wirklich auf sich selbst zurückzuziehen, sorgt Israel im Gegenteil dafür, dass es in der schlimmsten Weise mit der arabischen Welt verbunden bleibt - mittels seiner Waffen, Siedler, Eroberer und ideologischen Eiferer -, während seine Bürger, Künstler und sonstigen Bewohner von der Aussicht auf einen Ausweg und einen Schluss-Strich gelähmt sind, einer Aussicht, die heute ebenso wenig Chancen auf Verwirklichung hat wie eh und je. Fantastische Vorstellungen von israelischer Macht, wie man sie bei den Unterstützern Scharons findet, be­deuten allenfalls einen - noch dazu blutigen - Aufschub für die unvermeidliche Erkenntnis, dass Apartheid nur funktio­nieren kann, wenn zwei Völker eine Trennung akzeptieren, bei der der Starke dem Schwachen seine Herrschaft aufzwingt. Da dies jedoch nicht der Fall ist (und niemals in der Geschichte war), werden Menschen ihrer Versklavung wohl kaum je freu­dig zustimmen. Warum sind so viele Israelis so töricht und glauben, es werde in einem so kleinen Gebiet und in einer his­torisch so befrachteten Geographie wie der Palästinas dennoch funktionieren?

Solange sie sich vormachen, dass Israel auf wundersame Weise von seinen Lebensbedingungen und seiner Umgebung losgelöst sei - eine verquere Vorstellung, die Scharons Wahlkampf auch noch gefördert hat -, ähneln die israelischen Juden eher den Angehörigen einer Sekte als Bürgern eines moder­nen säkularen Staates. Und in gewisser Weise ist Israels frühe Staatsgeschichte wirklich die Geschichte einer utopischen Sek­te, von Menschen, die all ihre Energie darauf richteten, ihre Umwelt auszuschließen, während sie selbst in der Fantasiewelt eines heroischen und reinen Vorhabens lebten. Wie zerstö­rerisch und tragisch dieser kollektive Wahn gewesen ist, zeigt sich jeden Tag deutlicher, und der Machtantritt einer so anachronistischen und ungeeigneten Persönlichkeit wie der des diskreditierten Scharon rückt das Ganze noch einmal in ein grelles neues Licht. Wie lange wird das Erwachen dauern, und wie viel Leid muss noch über die Menschen kommen, bevor die Augen wirklich geöffnet sind?

Al-Ahram Weekly, 8. Februar 2001

(ebd., S. 260-267)

"Er ist ein Fürsprecher seines Volkes, einer der brillantesten palästinensischen Intellektuellen und durch seine zahlreichen Interventionen nicht zuletzt meinungsstarker homo politicus."

DER TAGESSPIEGEL

 

"Man muss nicht derselben Meinung sein wie Said, um ihn zu bewundern ... Seine Prosa ist elegant und geschmeidig, sein moralisches Urteil unbeugsam."

NEW YORK TIMES BOOK REVIEW

 

Berlin Verlag

Said, Edward W.: Das Ende des Friedensprozesses. Oslo und danach. Aus dem Amerikanischen von Meinhard Büning. Berlin: Berlin Verlag 2002
Said, Edward W.: Das Ende des Friedensprozesses. Oslo und danach. Aus dem Amerikanischen von Meinhard Büning. Berlin: Berlin Verlag 2002