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Diesseits der Ordnung

Adelbert von Chamisso als sympathisches Zielfahndungsobjekt

Ein Nachwort von Gerd Schäfer

Die Lügner unserer Zeit pfuschen nur, wie groß sie auch ihr Spiel ausdehnen wollen, sie haben keine Wahrheit in der Seele, und haben die Lüge nicht studiert.

Rahel Varnhagen

"Glück

war für Adelbert von Chamisso ein deutsches Fremdwort. Und diese traurige Feststellung kann sich auf die bewußte Entscheidung eines mehrfach Entwurzelten berufen, trotz aller Widerstände stets wie ein Zeitgenosse zu handen. Chamisso wollte in der Gegenwart leben, auch wenn das für ihn hieß, Beachtung und Erfolg nur an den Rändern zu suchen. Wenn sein Blick auf die Wirklichkeit von den aufkommenden Naturwissenschaften geprägt wurde, dann blieb er jedoch gleichzeitig offen für die Geheimnisse der Welt - und für die Ungerechtigkeiten der Gesellschaft.

Es ist kein Wunder, daß einerseits E.T.A. Hoffmann die Freundschaft Chamissos suchte und daß andererseits später Heinrich Heine beim Schriftstellerkollegen vor allem das Moment der Verjüngung betonte. Man traf auf einen eigenartigen Vertreter der Moderne, der bereit war, die Kosten des Fortschrittes zu tragen.

Frontispiz: Adelbert von Chamisso, Gemälde von Robert Reinick (1831).
Frontispiz: Adelbert von Chamisso, Gemälde von Robert Reinick (1831).

Adelbert von Chamisso

wird zwischen dem 27. und 30. Januar 1781 auf Schloss Boncourt in der Champagne als Sohn des Grafen Louis Marie de Chamissot geboren; am 31. Januar tauft man ihn auf den Namen Louis Charles Adélaide. Die Wirren der Französischen Revolution und der sich anschließenden Koalitionskriege zwingen die Familie, ihr Heimatland zu verlassen, die Kinder werden von den Eltern getrennt und kommen in kümmerlichen Notbehelfen unter. Nach Aufenthalten in Düsseldorf, Würzburg und Bayreuth trifft Chamisso endlich in Berlin ein, wo er, nachdem er kurz in einer Manufaktur als Porzellanmaler ausgeholfen hatte, zum Pagen der Königin Friederike Louise berufen wird. Wie es die französische Tradition von einem Adligen fordert, tritt er im Alter von siebzehn Jahren der Armee bei, der preußischen Armee. Seine Briefe aus dieser Zeit hätte man später wohl als "wehrkraftzersetzend" bezeichnet.  Chamisso, eher deklassiert denn nobliert, wird auch später ein Grenzgänger, nicht nur zwischen Völkern, bleiben.

Zuflucht

Zuflucht findet der Entwurzelte in der Weltliteratur, außerdem liest er die Helden der französischen Aufklärung, Voltaire, Diderot und Rousseau. Antiquiert-germanistische Sentenzen künden davon, Chamisso habe die deutsche Sprache durch das Studium der Werke von Klopstock und Schiller erlernt. Auch wer vaterländisches Wunschdenken bezweifelt, muß feststellen, daß seine Aneignung von fremden Idiomen jedliche Hochschätzung verdient; auf das Altgriechische folgt noch kurz vor dem Tod eine Beschäftigung mit dem Hawaiischen.

Nach seinem Ausscheiden aus der Armee wieder in Berlin besucht Chamisso die literarischen Salons und freundet sich mit Karl August Varnhagen von Ense und Julius Eduard Hitzig an, später wird er Hitzigs Pflegetochter Antonie Piaste heiraten. Der Exilant bleibt jedoch weiter ausgeschlossen, die Berliner Romantik lernt er lediglich als Zuschauer kennen; er fällt, nachdem erste literarische Versuche scheitern, immer wieder in schwere Depressionen. Darüber hinaus ekelt sich Chamisso vor den aufkommenden patriotischen Kreisen in Berlin, zeitlebens sieht er in Chauvinismus und Restauration seine Hauptfeinde. Aber auch im eigenen Vaterland sucht er vergebens einen festen Halt, der Flüchtling schließt sich der Entourage um Madame de Staël an, die von Napoleon des Landes verwiesen wurde. Mit ihr gelangt Chamisso an den Genfer See, wo er 1812 einen entscheidenden Brief des Botanikers Louis de la Foye erhält. Diese epistolarische Ermahnung lenkt sein weiteres Leben in neue, erfolgreiche Bahnen.

Chamisso hatte dem befreundeten Pflanzenkundler mitgeteilt, er gehe in Coppet keiner geregelten Arbeit nach, sondern spiele Schach, lerne schwimmen und verbessere sein Englisch. Umgehnd folgt die Empfehlung, die Blumen zu studieren, "dann bist Du nie allein". Der Schweizer Müßiggänger legt sein erstes Herbarium an, um dann über die Alpen nach Berlin zu wandern. Am Semesterbeginn immatrikuliert er sich an der neugegründeten Universität als Student der Medizin, er belegt Vorlesungen in Anatomie, Botanik und Zoologie. Chamisso, mittlerweile einunddreißig Jahre alt, ist endlich angekommen:

"Tauge ich überhaupt etwas, so ist es für die NATURWISSENSCHAFT, AUF DEM WEG DER ERFAHRUNG".

(...)"

(Textauszug, ibid., S.137-140)