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Rezension Teil II

École Nationale des Beaux-Arts: "Portrait of a Young Man" (1930)

1929 erhielt Amrita eine fundierte Ausbildung an der Académie de la Grande Chaumière und an der École Nationale des Beaux-Arts. Sie sprach fließend Französisch und wurde schon bald mit dem Leben der Pariser Bohème vertraut.

Sie gewann zahlreiche Preise und wurde im Jahr 1933 zum assoziierten Mitglied des Grand Salon gewählt. Ihr außergewönliches Talent in der Malerei fand sehr schnell Anerkennung. Im Jahre 1931 wurde sie an der École für ihr Portrait von Boris Tazlitsky,  Portrait of a Young Man (1930), ausgezeichnet.

 

Amrita Sher-Gil, Portrait of a Young Man, 1930 - Copyright National Gallery of Modern Art New Delhi - Courtesy Schirmer / Mosel
Amrita Sher-Gil, Portrait of a Young Man, 1930 - Copyright National Gallery of Modern Art New Delhi - Courtesy Schirmer / Mosel

 

Oftmals wird Amrita mit Frida Kahlo verglichen. Beide Künstlerinnen erweisen sich als starke weibliche Protagonisten in einem überwiegend männlich dominierten Kunstgeschäft.  Die Chance von einem Kunsthändler auserwählt zu werden, die Gunst eines Privatgaleristen zu erhalten oder gar bei der Kunstkritik Anerkennung zu finden, erwies sich im Paris der Surrealisten als ein eher männliches Privileg.

""Das Problem der Frau ist auf dieser Welt das wunderbarste und beunruhigendste",  hatte André Breton 1930 in seinem Zweiten Manifest des Surrealismus erklärt - was ihn jedoch nicht davon abhielt,  in sein Buch  Le surréalisme et la peinture von 1945 nur eine einzige Malerin aufzunehmen, nämlich Frida Kahlo." (S.15)

Deepak Ananth befasst sich eingehend mit den unterschiedlichsten Sichtweisen auf ihr künstlerisches Werk und Schaffen, auch  in der Auseinandersetzung mit jener gemeinhin kritischen Würdigung, die in einen Verweis auf einen eher  postimpressionistischen  Einfluß mündet. Analytisch scharfsinnig erarbeitet er Amritas künstlerische Identität. (S.15 ff.)

"Sher-Gil gehörte natürlich nicht zum Dunstkreis der Surrealisten, auch von den unterschiedlichen Varianten der geometrischen Abstraktion, die in den dreißiger Jahren vorherrschten, blieb sie unberührt. Bis heute ist es ein faszinierendes Spekulationsspiel, welche Kunstrichtung Sher-Gil wirklich ansprach und ihr als Inspiration diente. Das hängt nicht zuletzt auch damit zusammen, daß sie in ihren Briefen und in den Artikeln, die sie später in Indien schrieb, kaum Künstler nennt, die sie bewunderte oder gegen die sie eine eindeutige Aversion hegte." (S.15)

Deepak Ananth setzt sich insbesondere kritisch mit dem Begriff  des Postimpressionismus  auseinander, der 1910 von Roger Fry geprägt wurde und ihm als ein allzu vages Etikett erscheint, dies auch angesichts der Tatsache, dass dieser Begriff kaum eine bestimmte Bewegung in der Malerei beschreibt, geschweige denn einen bestimmten Stil. (S.15 f.)

Gauguin - er gilt als Inbegriff des Postimpressionisten - war seiner Ansicht nach, für Sher-Gil zwar von Bedeutung, dies jedoch eher in Indien als in Europa.

"Und nur unter dem eher allgemeinen Aspekt, daß sie ihre Motive oder Modelle vorzugsweise plastisch umsetzte - sie verweist häufig affirmativ auf das von Clive Bell geprägte Schlagwort der "significant form" -, darf man sie mit einer gewissen Berechtigung als Erbin des Postimpressionismus bezeichnen. Denn wenn es in der unendlichen Vielfalt von Stilen, die dieses Etikett umfaßt, eine Gemeinsamkeit gibt, dann vielleicht die einer Idee von Stil an sich, der Gedanke, daß Malerei vor allem eine Frage von Sprache und Syntax ist, kurz gesagt, das Wissen oder die Ahnung, "daß in der Moderne die Ausführung selbst das Bild war", wie Lawrence Gowing in seinem wichtigen Essay über Cézanne schrieb. (S.15)

Amrita trat im Oktober 1930 als Studentin ins Atelier Lucien Simon an der École Nationale des Beaux-Arts ein. Noch im gleichen Jahr besuchte sie die Ausstellung von Rabindranath Tagore im Théâtre Pigalle, in der sie selbst einige ihrer Werke präsentierte. 

Nach Ansicht Ananths entwickelte Amrita während ihrer Ausbildung an der École eine Art "generisch-figurativen Stil", der  sich als eine umfassende Synthese der Pariser Schule darstellte und sich an den Genres ausrichtete, die an der École gelehrt wurden: Akt, Portrait und Stilleben. 1930 enstand das bekannte ergreifend schöne Portrait  ihres Mitstudenten und zeitweiligen Geliebten  Boris Tazlitsky,  Portrait of a Young Man.  Er verkörperte für sie ein Beispiel für eine aufkommende sozialistische Vision der Kunst (und des Lebens)". (S.16)

Deepak Ananth - ein äußerst feinsinniger Beobachter - veranschaulicht Ihren Stil mit folgenden Worten:

"Ihre Figuren stammten meist aus ihrem unmittelbaren Umfeld - Mitstudenten und Freunde beiderlei Geschlechts sowie ihre Schwester Indira -, aber auch professionelle Modelle posierten für sie. Von Anfang an lassen ihre Gemälde eine Vorliebe zur Manipulation der Pigmente erkennen, zum Aufbau der Oberfläche, zur Andeutung von Volumen, wie etwa in dem ergreifend schönen Bild von Boris Tazlitsky,  Portrait of a Young Man  (1930). Vor dem matten Glanz des roten Hintergrunds heben sich das weiße Hemd des Portraitierten und die fast greifbare Empfindsamkeit seines Halses und der bloßen Arme großartig ab. Dennoch scheint diese Haltung in ihrer frontalen Darstellung und der kurzzeitig zur Ruhe gekommenen Vitalität dem nachdenklichen, introvertierten Blick des jungen Mannes zu widersprechen." (S.17)