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Der europäische Ethnozentrismus

Ein Gespräch mit Karam Khella über den Nofretete-Streit

Nofretete und die europäische Illusion des Kulturrelativismus

"Prof. Dr. Karam Khella wurde 1934 in Asjut, Ägypten geboren. Er lehrte in Deutschland und an zahlreichen europäischen und außereuropäischen Universitäten. Khella vertritt eine Vielfalt von Fächern, insbesondere Geschichte, Philosophie und Wissenschaftstheorie. Er ist Urheber der "Universalistischen Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie". Seine Arbeiten wurden in mehreren Sprachen übersetzt. Khella lebt heute in Hamburg (...)"

Textauszug aus IKA - Zeitschrift für Internationalen KulturAustausch. Ausgabe 67/68 (April 2007), S.8.

IKA: Herr Khella, haben Sie sich die Nofretete-Büste in Berlin schon mal angesehen ?

Khella: Ja, allerdings ?

IKA: Sie sind in Ägypten geboren und leben heute in Deutschland. Wie wirkt es auf sie, die "Königin vom Nil" hier in Berlin zu sehen ?

Khella: Als ich nach Deutschland kam, habe ich mir darüber nicht viele Gedanken gemacht. Später allerdings, als ich die große Menge von wertvollen Antiken aus Ägypten hier gesehen habe, hat mich das zunehmend provoziert und geärgert. Denn in den meisten Ausstellungen wird dem Betrachter suggeriert, dass die präsentierte Hochkultur hier in Deutschland zuhause sei - und nicht in Ägypten, wo sie es in Wirklichkeit ist.

Einer meiner Kritikpunkte betrifft die Herkunft der Kulturgüter. Provoziert haben mich hierzu die Texte zu den Exponaten. Wenn es darin heißt, dass etwas rechtmäßig "auf dem Antiquitätenmarkt erworben" wurde, muss ich zweifeln. Diesen Markt suche ich auf der ganzen Welt und finde ihn nicht. Das ist ein schlechtes Zeugnis für die Museumsideologie. Aber auch die Inhalte sind kritikwürdig, denn sie sind Zeugnis einer sehr einseitigen Betrachtung durch europäische Ägyptologen.

Ich möchte trotzdem zwei positive Dinge sagen: Die weltweite Verbreitung ägyptischer Kulturgüter macht natürlich vielen Leuten, die nicht nach Ägypten kommen können, die Bedeutung des Landes klar. Zudem haben einige Museen damit begonnen, die ägyptischen Exponate besser zu präsentieren als bisher. Nofretete zum Beispiel wird bald allein in einem Raum stehen - eine eindeutige Verbesserung, wenn sie nicht mehr neben vielen anderen stehen wird. Und es gibt technische Neuerungen. Die notwendigste Verbesserung aber, die noch aussteht, sollte in den Texten bestehen. Die müssten eigentlich alle neu geschrieben werden.

IKA: Was Sie also provoziert, ist nicht die Tatsache, dass die Dinge hier sind, sondern die Art, wie sie präsentiert werden.

Khella: Richtig, es stört mich nicht allein die Tatsache, dass sie hier sind - aber die Art, wie sie präsentiert werden und wie sie hierher gekommen sind. Es wäre ja auch möglich, ägyptische Stücke auf legalem Wege hier zu zeigen, mit Unterstützung der ägyptischen Regierung. Der Raub und die Plünderungen die stören mich.

IKA: Ägypten fordert aktuell eine Ausleihe der Büste für eine temporäre Ausstellung. Wie erklären Sie Ihren Landsleuten, dass Nofretete Berlin nicht verlassen darf?

Khella: Das kann ich niemandem erklären. Das würde mir auch niemand abnehmen. Es ist ein geteiltes Bewusstsein des ägyptischen Volkes, dass diese Exponate, egal wo sie stehen,  ägyptisches Eigentum sind, und dass sie als Ausleihe unterwegs sind. Dass Nofretete nicht nach Ägypten kommen kann, und dass so etwas nicht selbstverständlich ist, wird kein Ägypter akzeptieren.

IKA: Nach fast 100 Jahren der Auseinandersetzung um die Büste dauert der Streit zwischen Kairo und Berlin an, und es ist keine Lösung in Sicht. Haben Sie als Historiker eine Erklärung für diesen Disput ?

Khella: Dafür muss ich etwas weiter in die Fachgeschichte der Ägyptologie zurückblicken. Die europäische Ägyptologie ist ja erst Anfang des 19. Jahrhunderts entstanden. Verschiedene Motive haben die Europäer zu den Ausgrabungen gebracht. Auf der Suche nach Schätzen, nach Gold und Kostbarkeiten war eine gewisse Fachkenntnis der altägyptischen Kultur unerlässlich, um weitere Grabungsstellen ausfindig zu machen - so ist das Fach in Europa etabliert worden. Hinzu kam auch das politische Interesse an den Altertumswissenschaften: Die Besitznahme der Kulturgüter anderer Völker hat die europäische Illusion des Kulturrelativismus verstärkt. Das heißt, der Staat förderte die Ägyptologie sowie die Archäologie auch aus poltischen Gründen, als wichtiges Instrument für die Hegemonialansprüche, die sich im Laufe des 19. Jahrhunderts in Europa, und später auch in den USA manifestiert haben.

Es gibt viele Beispiele für die gezielte Aneignung von machtvollen Kulturgütern. Dass etwa der Kodex Hammurabi nicht in Babylon, in Bagdad steht, sondern im Pariser Louvre, hat natürlich auch einen politischen Effekt: Wir sind die "Fortsetzer" und die Erben dieser Kulturen - nicht der Irak oder die anderen.

Es ist allerdings Wahnsinn, dass man in dieser Frage soweit geht, Nofretete nicht in ihr eigenes Land reisen zu lassen, wo sie regiert hat. In das Dorf, wo sie gelebt hat. Das kann man nicht begründen.

IKA: In Kairo findet gerade eine Ausstellung statt, die den großen deutschen Archäologen Richard Lepsius ehrt. Wie kann man vor diesem Hintergrund eine solche Wertschätzung von ägyptischer Seite verstehen ?

Khella: Da gibt es eine Disparität. Lepsius ist jemand, der sich verdient gemacht hat, und es ist klar, dass in Ägypten auch Ägyptologen geehrt werden - sofern sie nicht offensiv rassistisch aufgetreten sind. Das ist korrekt und in Ordnung. Umgekehrt ist es in Europa aber nicht denkbar, einen ägyptischen Kollegen zu ehren. Der europäische Ethnozentrismus verhindert die Anerkennung, dass die altägyptischen Antiken nicht nur altes ägyptisches Erbe sind, sondern auch Teil der bestehenden ägyptischen Kultur (...)"

Den vollständigen Beitrag finden Sie unter IKA- Zeitschrift für Internationalen KulturAustausch. Ausgabe 67/68 (April 2007), S. 8-11.