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Haus des ewigen Lebens - Beit Hachajim

Ehrfurcht und Sensibilität im Umgang mit dem "Guten Ort"

Blick vom Alten zum Neuen Friedhofsteil; im Vordergrund links: Stein (Nr. 1709) des Elieser aus Schwabach (18. / 19. Jh.) (Aufn. 2003, Dieter Komma); Kuhn, Peter: Jüdischer Friedhof Georgensgmünd. München - Berlin: Deutscher Kunstverlag 2006, S. 6, Abb.6.
Blick vom Alten zum Neuen Friedhofsteil; im Vordergrund links: Stein (Nr. 1709) des Elieser aus Schwabach (18. / 19. Jh.) (Aufn. 2003, Dieter Komma); Kuhn, Peter: Jüdischer Friedhof Georgensgmünd. München - Berlin: Deutscher Kunstverlag 2006, S. 6, Abb.6.

Des Gerechten Name bleibt ewig und sein Andenken ist ein Segen (Ps. 112, 6. Spr. 10,7).

 

"Früher jedoch und nachdrücklicher als die höfliche Sitte stattete der Tod die Personen mit unseren Achtungsbezeigungen aus. Das Geschlecht der Todten ist das uns vorangegangene, das Sterben eines Jeden unsere eigene Zukunft; selbst was uns verblendet und entzweiet nimmt der Tod mit sich hinweg und bringt statt des Grolls die Scheu vor einem erhabenen Dunkel: so werden die Verstorbenen uns näher gerückt in der Liebe und höher gestellt in dem Range. Gott im Sterben schauend ruhen sie in der Erde, dem Gericht anheimgefallen und harrend der Gnade. Sie wissen von uns und ungesehen umgeben sie uns, können sogar durch unsere Frömmigkeit Milderung der Strafe und Trost erlangen. Den Todten darf man nicht kränken, seinen Namen nicht schmähen; seine Leiche muss betattet, das Grab in Ehren gehalten werden. Die edlen Todten aber heissen Lebende, ja die Verstorbenen Gerechte; ihnen angenehm und uns heilbringend ist es, das was sie gesprochen und gelehrt mit Angabe ihres Namens wieder zu verkünden. Wer aber einen verstorbenen Frommen nennt oder seiner Grabstätte nahe ist, soll ihn segnen und seiner zum Guten gedenken, denn

Des Gerechten Name bleibt ewig und sein Andenken ist ein Segen (Ps. 112, 6. Spr. 10,7)."

 

(Auszug aus Zunz, Leopold: Das Gedächtniss der Gerechten, in: ders.: Zur Geschichte und Literatur. Hildesheim: Georg Olms Verlag 1976 (Nachdr. der Ausgabe Zunz, Leopold: Zur Geschichte und Literatur. Berlin: Verlag von Veit und Comp. 1845), op. cit., S. 317-318)

Bejt Hachajim

Die Namensgebung schon macht Unterschiede deutlich: Friedhof, also Ort des ewigen Friedens, so heißt man die Begräbnisstätte im allgemeinen. Anders bei uns Juden: Bejt Olam, Haus der Ewigkeit, oder Bejt Hachajim, Haus des ewigen Lebens, so lauten die wohl gebräuchlichsten hebräischen Bezeichungen. Leben in der Ewigkeit wird hier verheißen, so wie der Glaube versichert, daß am Ende aller Tage aus dem kleinsten noch erhaltenen Knochenrest der Aufbau des neuen Leibes geschehen wird.

So erklärt sich aus diesem Glauben denn auch die außergewöhnliche Sorgfalt, mit der ein Leichnam im Judentum behandelt wird, wie übrigens der gesamte Friedhof, den die jiddische Sprache einen "guten Ort" nennt, ein hohes Maß an Ehrfurcht genießt. Diese Ehrfurcht, zumindest vor der Geschichte, sollte jeder Besucher jüdischer Friedhöfe fühlen. Denn er bewegt sich auf zutiefst historischem Boden. Schon deshalb, weil das Bejt Hachajm, das Haus des Lebens, auf ewig angelegt ist.

Dies unterscheidet, jenseits religiöser Unterschiede, jüdische von nichtjüdischen Friedhöfen, daß sie zugleich ein Ort von unschätzbarem kulturhistorischem Wert sind. Ein jüdisches Grab nämlich wird niemals aufgelassen, niemals also neuerlich belegt. Es besteht bis zu jenem Tag, da neues Leben in anderer Form geschehen wird. Und es bleibt unangetastet von Menschenhand. Allein die Natur mag hier eingreifen, mag Wurzeln ziehen oder den Grabhügel im Laufe langer Jahre von immer neuer Erde bedecken lassen.

Freilich, die strikte jüdische Forderung, einen Friedhof gleichsam als Sinnbild der Vergänglichkeit alles Lebenden zu verstehen, ist in der Vegangenheit oft fehlinterpretiert worden. Deshalb sei an dieser Stelle daran erinnert, daß der Wunsch nach natürlicher Vergänglichkeit nicht etwa bedeutet, einen jüdischen Friedhof sich selbst und allein den Kräften der Natur zu überlassen.

Dies mag in früheren Zeiten möglich gewesen sein, als Gräber unbefestigt angelegt und Grabsteine einfach in den Boden gerammt wurden. Damals stand es in der Tat zu erwarten, daß im Laufe der Zeit eine Grasnarbe allmählich alles unter sich bedecken würde. So wie es der alte Teil des Jüdischen Friedhofes in Darmstadt mit seinen eingesunkenen Sandsteingrabsteinen auch heute noch erkennen läßt (...)

(Auszug aus: Moritz Neumann, Vorstandsmitglied der Jüdischen Gemeinde in Darmstadt. In: Haus des ewigen Lebens - Beit Hachajim. Der Jüdiche Friedhof in Darmstadt. Grabstätten von 1714-1848. Bearbeitet von Benno Szklanowski unter Mitwirkung von Eckhart G. Franz. Hrsg. vom Magistrat der Stadt Darmstadt in Verbindung mit der Hessischen Historischen Kommission Darmstadt. Darmstadt: Justus von Liebig Verlag 1988, S. 9)

Eindrucksvolle Denkmäler

Jüdische Friedhöfe, vor allem ihre älteren Grabsteine, sind nicht nur eindrucksvolle Denkmäler, sie sind auch wertvolle und vielfach einmalige Quellen zur Geschichte der Juden, der jüdischen Kultur und des jüdischen Lebens. Ebenso wichtig wie Namen und Daten, die sich für die frühe Zeit oft nur hier erhalten haben, sind die begleitenden Texte, die vielfältige Einblicke in jüdischen Glauben und jüdisches Denken vermitteln. Zu ihrer Erschließung bedarf es freilich der Umsetzung, da die Inschriften noch bis weit ins 19. Jahrbundert ausschließlich oder vorwiegend auf Hebräisch gefaßt sind, in einer oft blumenreichen, mit talmudischen Zitaten, Anspielungen und Abkürzungen durchsetzten Sprache, die nur dem Fachmann zugänglich ist. Die sichernde Dokumentation und Entzifferung ist angesichts der umweltbedingten Verwitterung des bei älteren Steinen vorrangig verwandten Buntsandsteins, die erschreckend rasch fortschreitet und eine Reihe von Steinen schon jetzt unlesbar gemacht hat, zu einem vordringlichen Anliegen der historischen Denkmalpflege, aber auch und vor allem der jüdisch-deutschen Geschichtsforschung geworden (...)

(Auszug aus: Benno Szklanowski / Eckhart G. Franz: Vorbemerkung der Bearbeiter. In: Haus des ewigen Lebens - Beit Hachajim. Der Jüdiche Friedhof in Darmstadt. Grabstätten von 1714-1848. Bearbeitet von Benno Szklanowski unter Mitwirkung von Eckhart G. Franz. Hrsg. vom Magistrat der Stadt Darmstadt in Verbindung mit der Hessischen Historischen Kommission Darmstadt. Darmstadt: Justus von Liebig Verlag 1988, S. 11)

Die Sprache der Symbole auf den Grabsteinen

Jüdische Grabsteine unterscheiden sich schon durch das Fehlen jeder figürlichen Darstellung von den Grabsteinen christlicher Friedhöfe. Obwohl im Mittelpunkt eindeutig die oft dekorativ gestaltete Schrift steht, gibt es jedoch zusätzlich verschiedene Schmuckelemente. Gerade auf dem Darmstädter Friedhof läßt die kunstvolle bildhauerische Gestaltung vermuten, daß hier auch die talentierten Hofsteinmetzen der Landgrafen beschäftigt wurden, ohne daß man dies im einzelnen nachweisen könnte.

Es gibt auf den Grabsteinen eine Reihe von bildlichen Darstellungen die zum Teil symbolisch auf Leben und Tod hindeuten aber auch Bildsymbole, die auf Stammeszugehörigkeit, Beruf oder Namen des Verstorbenen hinweisen, die Stellung, Herkunft oder Persönlichkeit des Dahingeschiedenen charakterisieren.

Auf Grabstein Nr. 32 finden sich am oberen Rand die segnenden Hände des Priesters, ein Hinweis auf die aaronitische  Abstammung der Familie, auf die in der Grabschrift durch den entsprechenden Namenszusatz (Hakohen) hingewiesen wird. Die Priester (hebr.: Kohanim) entboten dem Volke gemäß Numeri 6, 24-26 - den dreifachen Segen täglich, während er nach der Zerstörung des Heiligtums in der Diaspora nur noch an den Feiertagen erteilt wurde, die nicht auf Šabbat fallen. Die Priesterhände finden sich auch auf den Steinen 113, 298 und 305, sowie auf den etwas späteren Steinen 360 und 379.

Symbole auf Grabsteinen des Jüdischen Friedhofs in Darmstadt-Bessungen: Stein Nr. 32 (segnende Hände); ebd., Abb., S. 30.
Symbole auf Grabsteinen des Jüdischen Friedhofs in Darmstadt-Bessungen: Stein Nr. 32 (segnende Hände); ebd., Abb., S. 30.
Auch für Familien levitischen Ursprungs finden sich Symbole, die auf die Funktionen der Leviten im Tempeldienst hindeuten, wo sie mit ihren Chorgesängen die Opferdarbringung der Priester begleiteten. Nach der Tempelzerstörung im Jahre 70 n.d. Z. erhielten sie die neue Aufgabe, die Hände der Priester zur rituellen Waschung zu begießen. Als Symbole finden sich daher Kanne, Krug oder Schüssel. Kannen bzw. Krüge zeigen auf dem Darmstädter Friedhof die Steine Nr. 30, 140, 182, später auch Nr. 205 und 383, wobei nur z. T. auch durch den entsprechenden Namenszusatz (Halevi oder Segal) auf die levitische Abkunft hingewiesen wird.
Symbole auf Grabsteinen des Jüdischen Friedhofs in Darmstadt-Bessungen: Stein Nr. 95(Kanne), ebd., Abb. S. 30.
Symbole auf Grabsteinen des Jüdischen Friedhofs in Darmstadt-Bessungen: Stein Nr. 95(Kanne), ebd., Abb. S. 30.
Seltener sind Symbole, die auf den Namen oder Beruf der Familie anspielen. Hierzu gehört die Reuse auf Stein Nr. 110, ein Hinweis auf den Namen Reis, der von dem Haus zur Reuse in der Frankfurter Judengasse hergeleitet wird.
Symbole auf Grabsteinen des Jüdischen Friedhofs in Darmstadt-Bessungen: Stein Nr. 110 (Reuse), ebd., Abb. S. 30.
Symbole auf Grabsteinen des Jüdischen Friedhofs in Darmstadt-Bessungen: Stein Nr. 110 (Reuse), ebd., Abb. S. 30.
Im Kopf der Grabsteine Nr. 12 und 169 findet sich eine Krone, die als "Krone des guten Namens" zu deuten ist. In den Sprüchen der Väter, Kap. 4,17 lesen wir: "Rabbi Simon sagte: Es gibt drei Kronen: die Krone der Torá (der Gelehrsamkeit), die Krone der Priesterwürde und die Königskrone; aber die Krone des guten Namens überragt sie alle." In diesem Sinne soll der Verstorbene gepriesen werden.
Symbole auf Grabsteinen des Jüdischen Friedhofs in Darmstadt-Bessungen: Stein Nr. 12 (Krone); ebd., Abb., S. 30.
Symbole auf Grabsteinen des Jüdischen Friedhofs in Darmstadt-Bessungen: Stein Nr. 12 (Krone); ebd., Abb., S. 30.
Weitere Ornamente sind Trauben als Sinnbild der Fruchtbarkeit Israels, Blumen und Rosetten, die oft nur schmückende Bedeutung haben (vgl. u.a. Steine 33, 36, 43, 60, 69, 80, 90, 115, 143). Bei dem andernorts weniger üblichen Schmetterling, der sich in Darmstadt vor allem auf den Grabsteinen der Familien Trier und Neustadt findet (s. Steine 187/88, 195, 212, 227-232) mag es sich um ein Familienzeichen handeln.
Symbole auf Grabsteinen des Jüdischen Friedhofs in Darmstadt-Bessungen: Stein Nr. 69 (Traube); ebd., Abb., S. 30.
Symbole auf Grabsteinen des Jüdischen Friedhofs in Darmstadt-Bessungen: Stein Nr. 69 (Traube); ebd., Abb., S. 30.

Doppelgräber werden häufig mit einem Grabstein geschmückt, der an die doppelten Bundestafeln erinnert, z.B. Steine 39/40, 102, 174, 345 und 298.

 

(Auszug aus Haus des ewigen Lebens - Beit Hachajim. Der Jüdiche Friedhof in Darmstadt. Grabstätten von 1714-1848. Bearbeitet von Benno Szklanowski unter Mitwirkung von Eckhart G. Franz. Hrsg. vom Magistrat der Stadt Darmstadt in Verbindung mit der Hessischen Historischen Kommission Darmstadt. Darmstadt: Justus von Liebig Verlag 1988, S. 29-30)

Deutscher Kunstverlag
Kuhn, Peter: Jüdischer Friedhof Georgensgmünd. München - Berlin: Deutscher Kunstverlag 2006.
Kuhn, Peter: Jüdischer Friedhof Georgensgmünd. München - Berlin: Deutscher Kunstverlag 2006.
Justus von Liebig Verlag
Haus des ewigen Lebens - Beit Hachajim. Der Jüdiche Friedhof in Darmstadt. Grabstätten von 1714-1848. Bearbeitet von Benno Szklanowski unter Mitwirkung von Eckhart G. Franz. Darmstadt: Justus von Liebig Verlag 1988.
Haus des ewigen Lebens - Beit Hachajim. Der Jüdiche Friedhof in Darmstadt. Grabstätten von 1714-1848. Bearbeitet von Benno Szklanowski unter Mitwirkung von Eckhart G. Franz. Darmstadt: Justus von Liebig Verlag 1988.