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Portugiesisch-Asiatische Begegnung

Als die Welt Portugal entdeckte: Zehn Jahre portugiesisch-asiatischer Begegnung 1498-1508

Sanjay Subrahmanyam

„Wir weisen Euch an, stets bedacht darauf zu sein, einige Män­ner auf Entdeckungsreisen (a descobryr) sowohl nach Malakka als auch in andere noch nicht so bekannte Gegenden zu schi­cken. Und Ihr solltet sie mit einigen Waren in einheimischen Schiffen losschicken, die dorthin fahren, vorausgesetzt sie kön­nen diese sicher mit sich führen. Und die Männer, die Ihr zu diesem Zweck auswählt, sollten wissen, wie sie richtig vorzuge­hen haben.« Königliche Anweisungen an Dom Francisco de Almeida, 3. März 1505.(1)
Abb. 1: Die erste Indienflotte des Vasco da Gama, in: Memória das Armadas, nach 1566, Lissabon, Academia das Ciências; ibid., S. 24.
Abb. 1: Die erste Indienflotte des Vasco da Gama, in: Memória das Armadas, nach 1566, Lissabon, Academia das Ciências; ibid., S. 24.

Historiker sehen sich bei ihrer Arbeit zu fast jedem Thema nolens volens mit dem heiklen Problem eines „Gleichgewichts des Unwissens“ (balance of ignorance) konfrontiert. Dies ist vor allem bei Themen der Fall, die mehr als 500 Jahre in die Geschichte zurückführen. Einerseits wussten die historischen Akteure, um die es geht, ohne Zweifel viele Dinge, die wir heute nicht wissen und in der Tat nicht wissen können; andererseits profitiert der Historiker von seiner nachträglichen Sicht auf die Geschehnisse und von seiner Forschungstätigkeit. Er kann daher Dinge erfah­ren, über die der historische Akteur im Dunkeln tappte. Dieses Problem wiegt deshalb besonders schwer, weil es uns häufig darum geht, die Motive für bestimmte Handlungen zu erken­nen. Diese aber sind aufgrund der gerade beschriebenen asymmetrischen Situation nur schwer zu rekonstruieren.

Die Probleme, vor die uns die Geschichte der ersten zehn Jahre der portugiesischen Präsenz im Indischen Ozean, von 1498 bis 1508, stellt, können meines Erachtens heute in einem neuen Licht betrachtet werden, wenn man über dieses „Gleichgewicht des Unwissens“ zwischen uns, den Historikern im frühen 21. Jahr­hundert, und einer Vielzahl von Akteuren, sowohl Portugiesen als auch anderen Protagonisten jener Zeit, nachdenkt. Dieses Gleichgewicht betrifft sowohl die Aspekte, die unter dem Ober­begriff „lnformation“ (bzw. den Objekten des Verbs conhecer, kennen, kennenlernen) verstanden werden können, und, viel­leicht noch gravierender, diejenigen, die als „Wissen“ (saber) aufzufassen sind.
Abb. 2: Tagebuch der ersten Indenfahrt Vasco da Gamas (1497-1499), Álvaro Velho zugeschrieben, Kat.-Nr. IV.9; ibid., S. 25.
Abb. 2: Tagebuch der ersten Indenfahrt Vasco da Gamas (1497-1499), Álvaro Velho zugeschrieben, Kat.-Nr. IV.9; ibid., S. 25.
Es ist allgemein bekannt, ja fast ein Klischee, dass die Ankunft der Portugiesen in Westindien im Mai 1498 Anlass für ein be­trächtliches Missverständnis war.(2) Wie wir von dem Álvaro Velho zugeschriebenen (und schon im 16. Jahrhundert vom Chro­nisten Fernão Lopes de Castanheda verwendeten) Text wissen (Abb. 2), glaubten die Portugiesen anfangs, es gäbe im mariti­men Asien nur zwei Religionsgemeinschaften, denen sie gegen­überstanden, nämlich Muslime (oder „Mauren“) und Christen. Ihrer Ansicht nach beherrschten die Muslime den nordwestli­chen Teil Asiens, der sich nach Arabien erstreckte, und die Chris­ten den südöstlichen, mit Kerala als Scheitelpunkt zwischen den beiden. Dies würde erklären, warum die Hafenstadt und das Königreich Kalikut (Kozhikode) in der Vorstellung der Portu­giesen einen eigentlich „christlichen“ König hatte, jedoch von den Händlern aus „Mekka“ beherrscht wurde. Die Portugiesen, die in der Flotte Vasco da Gamas mitreisten, brachten daher 1499 ein weitgehend falsches geopolitisches Bild von Asien nach Por­tugal. Es bestand aus einer Aufzählung zahlreicher christlicher Königreiche, die in einem binären System zu ihren möglichen Verbündeten gegen die muslimischen Händler in den Häfen von Kerala und an der ostafrikanischen Küste werden könnten.

Wie man sich in Portugal um 1500 Asien vorstellte

Dieses Bild, von dem der anonyme Schreiber uns versichert, er habe es von „einem Mann, der unsere Sprache spricht und der vor dreißig Jahren aus Alexandria in diese Region gekommen ist“ (also dem berühmten Gaspar da Índia) erhalten, hatte nicht lange Bestand und wandelte sich bereits 1501 beträchtlich, als Pedro Álvares Cabral mit einem neuen dreigeteilten Schema (Tabelle oben) nach Portugal zurückkehrte, das Christen, Mauren und Heiden beinhaltete.(3) Oder anders ausgedrückt: Ein falsches Bild wurde durch das Hinzufügen empirischer Informationen korrigiert, welche es erlaubten, die Christen von der Mehrheit der Einwohner Keralas zu unterscheiden.(4)

Im folgenden Jahrzehnt sollten weitere Kategorien hinzu­kommen. Es wurde klar, dass die Muslime sich ihrerseits in mindestens zwei große Gruppen spalteten (einerseits die des "Xeque Ismael“ und seiner Carapuças roxas oder Qizilbāsh, also die Schia-Anhänger der Safawiden; und andererseits die domi­nierenden Sunniten) und dass auch die Christen Keralas nicht dieselben Glaubensüberzeugungen hatten wie die Portugiesen. Lässt man nun aber außer Acht, dass die Akteure des frühen 16. Jahrhunderts Dinge, die wir heute wissen, nur teilweise wussten, läuft man Gefahr, vorschnelle Urteile über ihre Hand­lungen zu fällen. Dadurch kann ein Bild von ihnen gezeichnet werden, in dem sie weitaus naiver erscheinen, als sie wahrschein­lich waren.

Das Problem wird darüber hinaus dadurch erheblich verschärft, dass sich die Gesellschaften zur damaligen Zeit aus Akteuren zusammensetzten, die oftmals Analphabeten waren oder aber, wenn sie des Lesens und Schreibens kundig waren, es nicht für wichtig hielten, ihr Wissen schriftlich festzuhalten. Ein bekanntes Beispiel dafür ist Marco Polo. Es ist reiner Zufall, dass sein Bericht späteren Generationen überliefert wurde, denn er selbst scheint nicht sonderlich motiviert oder gar fähig gewe­sen zu sein, seine Geschichte zu Papier zu bringen. Der erstaun­liche Mangel an Quellen über den Indischen Ozean im 15. Jahr­hundert bestätigt dies. Die chinesischen Texte im Zusammen­hang mit den Reisen der Ming-Dynastie (so der Bericht des Ma Huan) sind in erster Linie das Ergebnis von obligatorischen amt­lichen Aufzeichnungen.(5) Dass der Text von Niccolò de' Conti in schriftlicher Form vorliegt, ist wiederum auf den Eingriff eines humanistischen „Co-Autors“, Poggio Bracciolinis, zurück­zuführen; auch der gequälte Bericht des Russen Afanasij Nikitin scheint eine eher verzweifelte Maßnahme des Autors gewesen zu sein, in einem Land voller Ungläubiger, die er verabscheute, seinen Verstand zu bewahren; und 'Abdur Razzaq Samarqandis Bericht von seinen Reisen nach Kerala und Vijayanagara in den 1440er Jahren ist die in einen hochliterarischen Text eingebundene Ich-Erzählung eines gelehrten Geschichtsschreibers. (6)

Abb. 3: Indischer Katar, 17. Jahrhundert, Kat.-Nr. VI.13; ibid., S. 27.
Abb. 3: Indischer Katar, 17. Jahrhundert, Kat.-Nr. VI.13; ibid., S. 27.

Anders gesagt, wir finden nirgends in diesen Texten eine ein­fache, ungeschminkte Schilderung eines Kaufmanns (in der Kairoer Geniza-Tradition) oder einen Reisebericht mit prakti­schen Informationen über Münzen, Gewichte, auf dem Markt erhältliche Waren oder Ähnliches. Die Gründe hierfür sind offen­sichtlich. Handelsinformationen waren wertvoll und wurden nicht bereitwillig preisgegeben; in der Tat waren auch die Geniza­Dokumente nicht für eine weite Verbreitung bestimmt.(7)

Das bedeutet freilich nicht, dass Kenntnisse und wertvolle Informationen nicht in Kaufmannskreisen mündlich weiterge­geben wurden, ganz im Gegenteil. Als Vasco da Gama 1498 in Indien eintraf, gab es mit Sicherheit einige Dutzend mediterrane Händler in verschiedenen Häfen des Indischen Ozeans, die über Kenntnisse verfügten, die weit über das hinausgingen, was Gama in drei kurzen Monaten in Kerala sammeln konnte. Wir kennen ihren Wissensstand zwar nicht genau, aber hier und da können wir eine Schätzung riskieren, so im Fall von Gaspar da Índia oder Ibn Tajjib („Bontaibo“ bzw. „Monçaide“), einem tunesischen Muslim, dem die Portugiesen 1498 in Kalikut begegneten. Ein weniger bekanntes Beispiel soll diesen Punkt verdeutlichen. Als João da Novas kleine Flotte 1502 nach Lissabon zurückkehrte, führte sie dem Bericht des berühmten in Lissabon lebenden flo­rentinischen Kaufmanns Bartolemeo Marchionni zufolge „einen Venezianer mit, der 25 Jahre dort (in Asien) verbracht hatte“.(8) Dieser Mann, Bonajuto d'Albano (Benevenuto del Pan), kam ursprünglich vom Campo San Bartolomeo in der Nähe der Rialtobrücke, wo sein Bruder noch immer lebte; er war nun etwa 70 (oder nach anderen Versionen etwa 60) Jahre alt, lahmte (zoto da una gamba) und war recht arm, denn er hatte bei einem Schiffbruch im Indischen Ozean angeblich die beachtliche Summe von 20 000 bis 25 000 Dukaten verloren.(9) Albano be­hauptete, ausgedehnte Reisen durch Persien, Hormuz, Guzerat (Gujarat, „Combait“) sowie „Chocolut und all diese Länder“ einschließlich Malakka unternommen zu haben. Unglücklicher­weise, so Marchionni über Albano, sei es ihm während dieses Wanderlebens unmöglich gewesen, seine Söhne christlich zu erziehen. Daher habe er die Gelegenheit ergriffen, mit den Portugiesen nach Europa zurückzukehren, um „seine beiden Söhne und seine Frau zu Christen zu machen“, auch wenn sie nahezu unbekleidet waren und Beobachtern in Lissabon ziem­lich unkultiviert erschienen. Er war auch nicht der einzige Rück­kehrer, denn dieselbe Flotte brachte einen gebürtigen Valencia­ner und einen anderen Mann aus Bergamo mit, die beide einige Jahre in Indien gelebt hatten. Albano wurde sofort nach Sintra gebracht, wo sich König Manuel zu jener Zeit aufhielt, und offensichtlich über den Handel in Asien ausgefragt, über den er sicherlich gut Bescheid wusste. Einige neuzeitliche Autoren vermuteten, dass die von ihm überbrachten Kenntnisse Dom Manuel ermutigt haben, den Handel in Südostasien zu erkunden, was 1509 durch Diogo Lopes de Sequeira zu den ersten direkten Kontakten der Portugiesen mit Malakka führte (obwohl Malakka bereits in dem anonymen Text von 1498/99) vorkommt).

Abb. 4: Portolankarte des östlichen Mittelmeerraumes, Venedig, 16. Jahrhundert, Kat.-Nr. III.20; ibid., S. 28.
Abb. 4: Portolankarte des östlichen Mittelmeerraumes, Venedig, 16. Jahrhundert, Kat.-Nr. III.20; ibid., S. 28.

Dennoch war es für diejenigen, die sich um schriftliche Auf­zeichnungen bemühten, schwer, an Informationen über Asien und Kenntnisse über die wirtschaftliche und politische Geo­grafie heranzukommen. Das äußerst umfangreiche, öffentlich gehaltene Tagebuch von Marino Sanuto in Venedig macht dies deutlich, denn seine zwei wichtigsten Quellen waren Korrespon­denten aus Ägypten und Iberien, auch wenn beide nur fragmen­tarische Informationen lieferten. Das Bild, das sie weitergaben, war teilweise verwirrend und widersprüchlich. So verkündete 1506, acht Jahre nach der Ankunft von Vasco da Gamas Flotte in Kalikut, der vom Hof Philips I. in Kastilien zurückgekehrte venezianische Gesandte Vicenzo Quirini dem Senat der Sere­nissima, dass die Lage für die Bewohner der Lagune in Wahrheit gar nicht so düster sei, wie vielleicht angenommen. Denn viele - darunter auch der notorisch streitsüchtige, aber dennoch all­gemein bekannte und gefeierte Tagebuchautor Girolamo Priuli - hatten es von den Dächern Venedigs gerufen: Aufgrund der Entdeckung der Kaproute sei das Ende nahe.(10)

(ibid., S. 25-28)

 

Der portugiesische Handel ...

 

Sandstein Verlag